Dexter
Weil jemand ihn in Eile hatte verstecken wollen und die Sache dilettantisch erledigt hatte.
Ich zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und stocherte mit dem stumpfen Ende an dem Beutel herum. Was auch immer sich im Inneren befand, war weich und nachgiebig – Stoff? Ich verstärkte den Druck, und die Plastikhülle schmiegte sich an den Inhalt, so dass ich dunkle rote Flecken ausmachen konnte, und unfreiwillig erschauerte ich. Es war Blut, ganz sicher. Und obgleich es sich um keine meiner vom Passagier eingeflüsterten Ahnungen handelte, ging ich davon aus, dass es nicht von jemandem stammte, der sich im Kino den Finger an der Popcornmaschine geschnitten hatte.
Ich stand auf und sah mich nach meiner Schwester um. Sie stand noch immer an derselben Stelle und starrte mich wütend an. »Deborah?«, rief ich. »Sieh dir das mal an.«
Rasch kam sie herüber, und als ich mich wieder hinkauerte, tat sie es mir nach.
»Schau mal! Diese Tüte ist anders als die anderen.«
»Toll. Was Besseres hast du nicht?«
»Doch. Das hier.« Erneut führte ich die Nummer mit dem Kugelschreiber vor, und erneut konnte man hinter der Plastikhülle die roten Flecken erkennen. »Vermutlich nur Zufall.«
»Scheiße«, fluchte sie mit stiller Inbrunst. Dann sprang sie auf und sah hinüber zur Absperrung. »Masuoka! Hier rüber!« Vince starrte sie an wie ein Reh im Scheinwerferlicht, und sie brüllte: »Tempo!« Schwerfällig setzte er sich in Bewegung und trabte herbei.
Die Standardprozedur ist sozusagen nur um Haaresbreite vom Ritual entfernt, weshalb ich sie immer irgendwie beruhigend finde. Ich arbeite gern nach festgelegten Regeln und vorgeschriebenem Verfahren, weil ich mir dann keine Gedanken um die Imitation irgendeines der Situation angemessenen Verhaltens machen muss. Ich kann mich einfach entspannen und die einzelnen Schritte abarbeiten. Doch diesmal schien die Routine langweilig, sinnlos und frustrierend. Ich wollte diesen Beutel aufreißen und stellte fest, dass ich vor Ungeduld zitterte, während Vince langsam und methodisch die Mülltonne, die Wand dahinter und dann jede einzelne Mülltüte über der weißen auf der Suche nach Fingerabdrücken einstäubte. Wir mussten jeden Beutel mit behandschuhten Händen herausheben, einpudern, unter Tages- und dann UV -Licht prüfen und danach vorsichtig öffnen, worauf wir jede Einzelheit in seinem Inneren untersuchten. Müll, Abfall, Reste, Mist. Als wir endlich die weiße Tüte erreichten, stand ich kurz davor, zu kreischen und Vince den Müll an den Kopf zu werfen.
Doch schließlich war es so weit, und der Unterschied war umgehend zu erkennen, selbst für Vince, der sie bearbeitete.
»Sauber«, sagte er und starrte mich überrascht an. Die anderen Beutel hatte ein Mosaik schmieriger, fettiger Abdrücke geziert, doch diese war so rein, als hätte man sie gerade erst aus der Verpackung gezogen.
»Gummihandschuhe«, sagte ich, dann ging meine Ungeduld mit mir durch. »Los, reiß sie auf!« Er sah mich an, als hätte ich ihm einen unsittlichen Vorschlag unterbreitet. »Öffnen!«, befahl ich.
Vince zuckte die Achseln und begann bedächtig den Plastikzug aufzunesteln. »So ungeduldig«, tadelte er. »Du musst lernen zu warten, Grashüpfer. Demjenigen, der warten kann, wird alles …«
»Mach einfach den verdammten Beutel auf«, blaffte ich, was mich wesentlich mehr verblüffte als Vince. Er zuckte nur noch einmal mit den Achseln, entfernte das Band und verstaute es sorgfältig in einem Indizienbeutel. Mir wurde bewusst, dass ich mich ein wenig zu weit vorbeugte, deshalb richtete ich mich auf – und prallte gegen Deborah, die sich über mich gebeugt hatte. Sie blinzelte nicht einmal, sondern nahm einfach meine vorherige Position ein.
»Los, verdammt«, schnauzte sie.
»Ihr müsst verwandt sein«, maulte Vince. Aber ehe ich ihn treten konnte, öffnete er die Tüte, griff vorsichtig hinein und zog mit einem wahrlich aufreizenden Mangel an Geschwindigkeit …
»Dekes Hemd«, stellte Deborah fest. »Er hat es an dem Nachmittag getragen.« Sie sah mich an, und ich nickte; ich erinnerte mich an das Hemd, eine cremefarbene Guayabera mit hellgrünem Palmenmuster. Jetzt war ein neues Muster hinzugekommen, ein ekelhafter nasser Blutfleck, den der luftdichte Beutel feucht gehalten hatte.
Langsam und bedächtig zog Vince das blutige Hemd aus dem Beutel. Etwas anderes bewegte sich mit, fiel klirrend zu Boden und rollte zum Hintereingang des Gebäudes. Deborah stieß ein »Scheiße« aus
Weitere Kostenlose Bücher