Dezembergeheimnis
seine Seite trat.
»Also noch mal: Du kannst nicht frieren?« Freie Arme bei minus zehn Grad … joar, jeder wie er mochte, oder?
»Das ist richtig.«
»Und du kannst auch nicht schwitzen?«
Er nickte.
»Aber dir war doch in der Decke am Sonntag warm.«
Er lächelte, anscheinend glücklich, endlich mit etwas antworten zu können, das ihn ein wenig menschlicher erscheinen ließ. »Mir wird auch warm und ich spüre ebenfalls, wenn es draußen kalt ist. Aber ich habe beispielsweise keine Schweißdrüsen. Mir darf also auch nicht zu heiß werden, das wäre dann wie … wenn du einen Kuchen zu lange im Ofen lässt.«
Nachdenklich presste sie die Lippen aufeinander und begann dabei, zum Eingang zu marschieren. Er sah aus wie ein Mensch. Aber er war wirklich und völlig echt ein Kuchen.
»Weißt du, wir müssen dir trotzdem irgendwie eine Jacke kaufen. Das sieht verdächtig aus, wenn du hier halbnackt durch den Winter rennst.«
»Halbnackt?«, wiederholte er und sah kurz an sich herunter. Sie strich ihm über den Oberarm.
»Du weißt, was ich meine.«
»Deine Hand ist ganz warm«, lächelte er und griff danach. Seine Haut fühlte sich so angenehm und weich an, dass sie augenblicklich zurückzuckte.
»Äh, wirklich?«, fragte sie nervös und entzog sie ihm wieder. Mit nur einer winzigen Berührung verwandelte er sie in das schüchterne ungeküsste Mädchen, das sie sonst immer so gut verstecken konnte. Gefährlich.
»Das ist komisch, normalerweise sind sie ganz kalt«, lachte sie, völlig ungekünstelt, und versuchte damit, ihre plötzliche Zappeligkeit zu überspielen. Er verengte lächelnd die Augenbrauen, schien ihre Nervosität zu bemerken, aber nicht zu verstehen. Rasch betrat sie den Laden und verschränkte die Arme dabei vor der Brust.
»Wie funktioniert das hier?« Noel schritt an ihr vorbei und zielte direkt auf einen der Kleiderständer.
»Warte, nicht so schnell!«, rief sie und flitzte ihm hinterher. Seine Hand, die bereits nach dem ersten Shirt ausgestreckt in der Luft hing, erstarrte. Er sah Lea an und sie bemerkte ein loses Haar an seiner Augenbraue. Da sie die Arme aber immer noch überkreuzt hatte, strich sie es ihm nicht aus dem Gesicht, sondern starrte ihn einfach nur einen Moment zu lange an.
Seine Augen hatten ein so unglaublich schönes Muster. Obwohl Lea sich immer bemühte, sie nicht zu intensiv zu betrachten, um nicht mitten in der Unterhaltung zu vergessen, was sie sagen wollte, war ihr deren Schönheit nicht entgangen. Sie würde sie so gerne einmal länger als nur eine Zehntelsekunde begutachten, weil sie immer das Gefühl hatte, ihnen nicht genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn sie Noel jedoch während eines Gespräches ansah, ging es ihr wie bei einem Telefonat, während der Fernseher noch lief: Sie konnte sich nur auf eins von beiden konzentrieren. Und sie würde sich definitiv nicht die Blöße geben, seinem Gesicht dabei jemals den Vorzug zu überlassen, nur um dann dabei ertappt zu werden, wie sie ihm nicht zugehört hatte.
»Äh … « Sie riss ihren Blick zurück auf den Kleiderständer. »Also, du nimmst die Sachen in deiner Größe, probierst sie in der Umkleidekabine an und dann entscheiden wir, welche wir kaufen.«
Mit gerunzelter Stirn griff sich Noel wahllos ein Hemd und hielt es hoch.
»Ist das meine Größe?«
»Keine Ahnung.« Lea biss sich auf die Unterlippe. »Nimm doch von dem hier«, dabei deutete sie auf den Stoff in seiner Hand, »einfach alle Größen und dann sehen wir weiter.«
Er nickte und hob sich alle zwanzig von der Stange auf den Arm.
»Nein, die sind nicht alle verschieden!« Unbeholfen nahm sie ihm die Hemden ab und deutete nach links. »Siehst du die Umkleide da drüben?«
Er nickte abermals.
»Das sind Kabinen. Du setzt dich jetzt in eine rein und wartest auf mich, okay? Ich suche derweil etwas aus.«
»Danke.« Er lächelte und verschwand.
Lea hingegen seufzte tief, hing die Klamotten zurück – nicht ohne dabei die Hälfte fallen zu lassen – und nahm von jeder Größe nur ein Hemd mit. Als sie bei den Kabinen ankam, waren natürlich alle Vorhänge zugezogen.
»Äh, Noel?«, rief sie zaghaft, stand dabei unsicher auf dem Gang und sah zwischen den verschiedenen Nischen hin und her. »Wo bist du?«
»Hier drüben.« Seine Stimme kam von rechts. Ohne groß darüber nachzudenken, schob sie die Gardine zurück und erstarrte. Ihr gutaussehendes Gegenüber stand vor dem Spiegel, die Hand an der Scheibe. Sein T-Shirt lag
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