Dezembergeheimnis
Als sie die Augen schloss, drehte sich die Dunkelheit in ihrem Kopf ein wenig. Vielleicht sollte sie doch schlafen gehen. Er hatte einen Schlüssel und wer wusste schon, wann er nach Hause kommen würde. Morgen war Samstag, nichts drängte die Jungs. Es konnte sich nur um Stunden handeln.
Und genau in dem Moment knackte das Schloss. Noch ehe sie Zeit hatte, das zu realisieren und einen Schritt zurück zu treten, drückte sich die Türfrontal in ihr Gesicht und schlug ihr gegen die Zehen. Sie zuckte zurück, verlor das Gleichgewicht und segelte mit einem Aufschrei und samt Glas auf den Hintern.
»Heilige Scheiße, Lea!« Noel schob sich augenblicklich durch den Türspalt und kniete sich zu ihr auf den Boden. Lea starrte ihn an; verdattert, sein Gesicht plötzlich so nah vor ihrem zu haben. »Bitte verzeih mir, ich hab ja nicht ahnen können … Was machst du denn direkt an der Tür? Hast du dir wehgetan?«
»Sch-schon gut«, stammelte sie, während sie mit roten Wangen nicht in seine Augen, sondern auf ihr Shirt starrte, das vorbildlich den gesamten Inhalt ihres Glases aufgefangen hatte. »Hast du gerade
heilige Scheiße
gesagt?«
Er grinste spitzbübisch und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Hab ich wohl von den Jungs aufgeschnappt, ‘tschuldige.«
»Schon gut«, wiederholte Lea. Jetzt brachten sie ihm auch noch das Fluchen bei, fantastisch. »I-ich hab nur geguckt, ob der Spion überhaupt auf meiner Augenhöhe ist … «
»Komm her«, murmelte er, während er aufstand und sie zu sich nach oben zog.
»Was machst du schon hier? Hattest du keinen Spaß?«
»Doch, doch, es war ein wirklich netter Abend … « Noel sog die Luft ein, als er nach Worten suchte. Dabei ließ er von ihr ab und streckte sich.
»Bis …?«
»Bis Matthias einen Anruf von seinem Chef bekommen hat und frühzeitig gegangen ist. Paul und ich haben uns noch etwas unterhalten und dann … also, ich kann dir das jetzt auch nicht so richtig erklären. Wie du vorausgesagt hast, hat er die ganze Zeit dieses goldgelbe Zeug, Bier, getrunken. Und ich schätze, ich hab meine ersten Erfahrungen gesammelt, was Alkohol betrifft.«
»Hast du etwa mitgetrunken?«, japste sie.
»Nein, um Gottes willen!« Er hob beide Hände abwehrend vor die Brust. »Ich wollte kein Risiko eingehen. Ich habe schließlich keine Ahnung, wie ich so was aufnehmen würde. Und bei Paul war es auf jeden Fall so, wie du es erzählt hast. Irgendwann hatte ich das Gefühl, als würde er neben sich stehen beziehungsweise habe ich einfach nicht mehr verstanden, was er erzählt hat. Vielleicht hat er sich auch nur ungünstig ausgedrückt.« Er zuckte mit den Schultern. »Vor etwa einer Stunde fing er dann schließlich an, mir zu ausführlich zu beschreiben, wie sehr er Sally … lieben würde. Und dann hat er sich in ein Taxi gesetzt, um zu ihr zu fahren.«
Lea warf einen Blick auf die Uhr an der Wand – halb 11. Das würde ja eine schöne Überraschung für Sally werden. Doch für den Moment sollte ihr ihre Freundin mit deren Arbeitskollegen und Überstunden mal egal sein. Ein Lächeln, das sich partout nicht unterdrücken ließ, breitete sich auf ihren Lippen aus. Er war wieder da.
Wann war sie zu einer solchen Klette geworden?
Ich war ja nur besorgt
, redete sie sich ein,
und angetrunken noch dazu
. Aber sie konnte sich gerade auch nicht wirklich dazu bringen, sich daran zu stören.
Noel lächelte ebenfalls, ehe er den Abstand zwischen ihnen überbrückte und sie ohne weitere Worte in die Arme schloss. In der ersten Sekunde hielt sie noch den Atem an, doch dann lehnte sie sich einfach an ihn.
»Es war schön, aber es ist auch schön, wieder hier zu sein«, murmelte er. Aber schon ein Augenzwinkern später war er wieder auf Armlänge entfernt und zog sich seine Jacke und Schuhe aus. »Also, was hast du gerade gemacht?«
»Uh … «, machte Lea und verschränkte die Arme. Frusttrinken klang vielleicht nicht so verführerisch. »Ich hab eine Flasche Wein aufgemacht.«
»Wein? Was ist das?«
Zusammen gingen sie zurück ins Wohnzimmer und Noel hatte sich bereits auf dem Sofa niedergelassen, als Lea ihr feuchtes Shirt wieder einfiel.
»Ich geh mich mal schnell umziehen und dann können wir noch mal über Wein sprechen.«
»Was, wieso denn? Ich finde, du siehst bezaubernd aus wie immer. Setz dich lieber zu mir.«
Lea sah an sich herunter, von da zu ihm und wieder zurück zu ihrem Fleck. Ach, was sollte es, das Ding hatte eh einen komischen
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