Dezembergeheimnis
benebelt normalerweise den Kopf, sodass man nicht mehr alles aufnehmen kann … «
Ihre Stimme wurde immer leiser, weil er ihr immer näher kam. Mit jedem Wort überbrückte er grinsend ein paar Zentimeter zwischen ihnen.
»Nein«, murmelte er. »Ich sehe dich wunderbar. Und höre auch alles, was du sagst.«
Je näher er ihr kam, desto weiter wich sie zurück, bis er sogar ein Stück über ihr lehnte, sich ihre Oberschenkel berührten und er sich neben ihrem Kopf aufstützen musste.
»Deine Wangen sind ganz rot«, flüsterte er und ihr erschien es, als würde ihr sogar sein Atem im Kopf nachhallen. »Du siehst heute Abend sehr schön aus.«
Zwei, drei, vielleicht auch vier Sekunden starrte sie lediglich schwer atmend zu ihm hoch. Er hatte noch gar nichts gemacht, er lehnte bloß über ihr, und ihr Körper reagierte bereits, als hätte sie gerade bei einem von Sallys Schlussverkäufen mitgemacht.
»Das könnte jetzt ein Anzeichen von Alkohol sein«, flüsterte sie zurück.
»Was? Dass ich nicht zurückhalten kann, dass ich dich berühren möchte?«
Wenn es irgendwie möglich war, wurde sie bei seinen Worten noch röter. »Ja.«
Einen Moment betrachtete er sie, ehe er flüsterte: »Wie kann es sein, dass du hier mit mir bist? Wie ist das möglich, dass du dir überhaupt jemanden wie mich wünschen musstest?«
»Ich … « Sie schluckte. »Mich hat einfach niemand bemerkt.«
»Wie kann man nur so blind sein? Ich würde am liebsten … « Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht, sie spürte seine Finger in ihrem Nacken. »Am liebsten … «
Sie waren sich so nah, sie konnte seinen Atem bereits spüren.
Gleich
, dachte sie,
gleich
.
Doch dann senkte er seine Stirn an ihre. »Es tut mir leid.«
Lea schloss für einen Moment die Augen, während sie antwortete: »Muss es nicht, ehrlich, ich bin nur … also, ich … «
Er atmete tief durch, als er sich wieder aufsetzte. Immer noch saßen sie eng beieinander, aber Lea hatte immerhin das Gefühl, wieder normal Luft holen zu können. »Sorry, ich weiß nicht, was plötzlich über mich gekommen ist.«
Lea heftete den Blick beharrlich auf die Finger, weil … ja. Das wusste sie auch nicht.
»Nun ja, das ist eine weitere Sache. Man verliert das Schamgefühl. Man wird ehrlicher und tut oder sagt, was man sonst nicht tun oder sagen würde.«
»Ich verstehe.« Er hielt einen Moment inne, ehe er fortfuhr. »Vielleicht erklärt das die neue Energie. Ich fühle mich, als könnte ich alles wagen. Oder fast alles.«
»Ja, vielleicht.«
»Lea? Kann ich dich etwas fragen?«
Sie befürchtete Schlimmes. »Ja, sicher.«
»Da gibt es diese eine Sache, über die ich schon länger mit dir reden wollte … du weißt, die Sache, bei der ich immer gesagt habe, dass ich mir darüber gerne noch etwas mehr Gedanken machen wollen würde, ehe ich es dir erzähle?«
»Ja …?«
»Es ist so, dass … «, setzte er an, doch unterbrach sich selbst abrupt. Sein Oberkörper knickte ein und ein weiteres, von ihr inzwischen so gefürchtetes, schmerzerfülltes Stöhnen entwich ihm.
»Wo ist es dieses Mal, Noel?« Ihre Hände flogen über seine zusammen gesunkene Form und ihre Stimme klang panisch. »Sag mir, was ich tun soll! Willst du dich hinlegen? Sprich mit mir!«
Doch er lehnte sich lediglich ein bisschen mehr gegen sie und atmete heftig, ehe kaum drei Sekunden später die Anspannung seine Schultern verließ. Er sackte noch etwas weiter zusammen und holte ein paar Atemzüge tief Luft, ehe er sich mit zerwühlten Haaren wieder aufrichtete.
»Tut mir leid«, murmelte er und fuhr sich mit den Händen mehrmals über den rechten Oberschenkel, wie, um einen Krampf herauszustreichen. »Es war wieder einfach da … ich weiß wirklich nicht, was das ist.«
»Oh Gott«, hauchte Lea, ebenfalls völlig außer Atem. »Ist jetzt alles wieder gut? War es dieses Mal im Bein? Tut es noch weh?« Ohne richtig drüber nachzudenken, begann sie ebenfalls, mit beiden Händen über seinen festen, muskulösen Oberschenkel zu streichen. Oh.
»Nein.« Er zuckte mit den Schultern, während er sich über die Augen strich. »Alles wieder weg. Verzeih, dass ich dich erschreckt habe.«
Lea schüttelte den Kopf. »Nie wieder Alkohol für dich. Und wir müssen unbedingt herausfinden, was das ist. Das kann nicht normal sein.«
Noel schmunzelte nur. »Ich kann schlecht zu einem deiner Ärzte gehen, Lea. Wie willst du mich denen erklären? Solange es immer schnell wieder
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