Dezembergeheimnis
verbracht. Okay, zugegeben, Samstag war Lea ein bisschen neben der Spur gewesen, weil ein kleiner, fieser Typ in ihrem Kopf unermüdlich mit einem Vorschlaghammer Radau geschlagen hatte und Noel deswegen auch mit ansehen musste, wie sie mit der Klobrille statt des Kopfkissens kuschelte, aber das konnte an dieser Stelle ja auch einfach mal unerwähnt bleiben. Auch hatte Lea einen Großteil des Vormittags damit verbracht, Sally über das Telefon zu beruhigen. Offensichtlich war Pauls Plan der großartigen alkoholisierten Liebeserklärung etwas dazwischen gekommen, denn im Ergebnis hatten die beiden keinen bewusstseinserschütternden Sex, sondern einen vasenzerschmetternden Streit gehabt. Es hatte mehrere Stunden und zwei Aspirin gedauert, bis das Telefonat beendet werden konnte und Lea war sich nicht sicher, ob Sally danach trotz allem auch nur im Ansatz beruhigt war.
Während sie und ihr Magen sich langsam wieder vertrugen, entwickelten Noel und sie ein Spiel: Einer gab zwei Alternativen vor, zwischen denen der andere sich entscheiden musste. Heimlich nannte Lea es Wähl-oder-Stirb, denn es hatte bereits einige Themen gegeben, bei denen sie sich nicht im Geringsten einig geworden waren. Nach außen hin tat sie in diesen Momenten zwar total genervt, doch im Inneren jubilierte sie, wann immer Noel eine eigene Wahl traf.
Sie hatten dadurch bereits herausgefunden, dass ihr bei Mustern eher Punkte zusagten, während er Streifen nicht abgeneigt war und während ihm die Farbfotos in ihren Alben weitaus besser gefielen, war sie eher ein Fan von Schwarz-Weiß-Motiven. Er war Frühaufsteher und sie Langschläfer – Noels Definition; zehn Uhr konnte doch niemand ernsthaft als
lange schlafen
betiteln – aber beide waren im gleichen Maß mittelmäßig ordentlich. Doch egal, über wie viele Kleinigkeiten sie sprachen und ob sie sich einig waren oder nicht, das Ergebnis war immer auf seine Weise zufriedenstellend. Nur seineVorliebe für ungerade Zahlen …
Die Sonne war bereits untergegangen und weil niemand den Elan besessen hatte aufzustehen, um das Licht einzuschalten, wurde auch das Wohnzimmer immer dämmriger und dunkler. Noel schien das als perfekten Zeitpunkt zu erachten, das Thema von Freitagnacht wieder aufzugreifen. »Bist du schon bereit, über deine Bücher zu sprechen?«
Lea zog sich die Kuscheldecke, die über ihnen beiden ausgebreitet war, bis zur Nase und gab ein kleines Brummen von sich. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass die Sache noch längst nicht vom Tisch war, aber wenn es nach ihr ginge, hätten sie sie ruhig noch ein wenig unter den Teppich kehren können.
»Ja, schon … « Mehr sagte sie nicht, aber als auch Noel nicht weiter bohrte – das tat bereits sein Blick, den sie sogar im Dämmerlicht spürte – seufzte sie. »Was möchtest du denn wissen?«
»Alles.« Sein Grinsen war deutlich in seiner Stimme zu hören. »Erzähl mir doch einfach ein bisschen was darüber … warum, seit wann, was genau?«
»A-also, ich … « Sie sah auf ihre Finger, die eine Haarsträhne flochten und zwirbelten, und schluckte. »Also ich schreibe ungefähr seit der Mittelstufe. Meine Mutter sagt immer, dass ich als Kind eine sehr lebhafte Fantasie gehabt habe und damals, kurz vor dem Abschluss, hatte ich nicht wirklich viele Freunde. Ich hatte sogar trotz Prüfungen und Hausaufgaben noch viel Zeit und irgendwie … «
Sie verstummte. Das klang alles so mitleiderregend und erbärmlich. Die Vorstellung, wie sie alleine in ihrem dunklen Zimmer über einem Stapel Papier hockte, anstatt wie jedes normale Kind draußen im Park zu spielen, war definitiv nicht der beste Einstieg in ihr heimliches aber doch eigentlich geliebtes Hobby.
»Ich mag deine Geschichten.«
Sofort ruckte ihr Kopf nach oben.
»Doch, wirklich«, fuhr er fort. »Sie sind wunderbar. Man bleibt immer mit einem kleinen Lächeln zurück. Ich kann zwar absolut nicht verstehen, mit welchen Idioten du auf einer Schule gewesen sein musst, dass sie nicht mit dir befreundet sein wollten, aber wenn du deswegen mehr geschrieben hast, war es das wohl wert.«
»Denkst du das wirklich?«, flüsterte sie.
Er schmunzelte. »Ich lüge dich nicht an. Schon vergessen?«
Lea lächelte leicht, doch ihr Kopf war viel zu sehr mit ihren aufgedrehten Körperfunktionen beschäftigt: Herzklopfen, trockener Mund, Kribbeln im Bauch. Sie bildete sich sogar ein, dass ihr ein bisschen schwindelig war.
»Aber ernsthaft: Warum hattest du nicht viele
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