Dezembergeheimnis
klar?«
Als sie ihm endlich wieder ins Gesicht blickte, musste sie feststellen, dass er lächelte. »Bist du fertig?« Seine Augen zierten kleine Falten. Seine Reaktion verwirrte sie; sie atmete tief aus und dachte einen Moment nach.
»Ja«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
»Möchtest du wissen, wo ich Arbeit gefunden habe?«
»Ja.« Unter seiner amüsierten und ruhigen Mimik fühlte sie sich wie eine Teenagerin, die unbedingt auf ein Konzert gehen wollte, zu dem sie aber nicht durfte. Das war unfair! Sie hatte eindeutig das Recht, sauer zu sein! Und das dringende Bedürfnis, ihm die Zunge rauszustrecken.
»Bei der Bäckerin, bei der du damals den Kuchen gekauft hast. An dem Tag, an dem du mich gebacken hast. Kannst du dich an sie erinnern?«
»Ich bin ja nicht dement.«
Er schmunzelte. »Natürlich nicht. Auf jeden Fall hast du natürlich recht mit deinem Einwand, dass ich auf mich acht geben muss. Gärtner wäre nicht unbedingt der beste Beruf für mich. Mit Teig zu arbeiten macht mir aber aus offensichtlichen Gründen nichts aus.«
»Moment mal. Macht es nicht?« Lea kniff die Augen zusammen. »Warum muss ich dann immer dein Essen machen?«
Noel zuckte mit den Schultern und grinste. »Weil ich es mag, wenn du es für mich machst.«
»Pah!«, machte sie, drehte sich um, holte sich ein Restessen aus dem Kühlschrank und depperte es in die Mikrowelle. Noel stand in der Zwischenzeit auf, stellte sich hinter sie und strich ihr mit beiden Händen über die Oberarme.
»Sei nicht böse«, sagte er. »Ich hab das doch auch für dich getan.«
»Für mich, pfft. Geh weg.« Lea spürte seinen Atem im Nacken, aber wie befohlen ließ er von ihr ab. Ein bisschen tat ihr die ruppige Art leid, aber nicht genug, um sich zu entschuldigen. »Wie kommst du überhaupt auf so eine abgedroschene Idee?«
»Was heißt
abgedroschen
? Dass du sie nicht magst?«
»Ganz richtig, ich
mag
sie nicht. Ich finde sie sogar komplett bescheuert!«
»Aber denk doch mal einen Moment darüber nach: Wie willst du denn für zwei Leute aufkommen? Du hast kein Geld, also ist es doch wohl normal, dass ich was tun muss. Außerdem bin ich der Mann. Ich sollte das Geld für uns verdienen.«
Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte Lea sich zu ihm um. »Aus was für einer Mittelaltersendung hast du den Quatsch denn? Wir sind doch nicht–«
»Das ist in all deinen geliebten Klassikern so!«
»Ja, die sind aber auch schon hundert Jahre alt! Da war die Gesellschaft noch etwas anders! Vielleicht solltest du dich in Zukunft besser informieren, bevor du denkst, den großen Helden spielen zu müssen! Einfach so zu verschwinden, du hast ja keine Ahnung … ach, vergiss es.«
Noel presste die Lippen aufeinander, ehe er die Augen verengte und sie musterte. »Du hattest Angst, dass ich abgehauen bin, oder? Dass ich dich verlassen habe?«
Lea machte den Mund auf, schloss ihn aber wieder. Ihre Mikrowelle piepte, was ihr das optimale Alibi gab, sich wenigstens kurz von ihm abzuwenden.
»Du hast echt keine Ahnung, was ich in den letzten Stunden durchgemacht habe. Ich habe dich überall –
über-all
– gesucht.«
»Hast du?«
»Ja, hab ich, ich … « Weiter kam sie nicht, denn dieses Mal hatte Noel nicht gezögert. Er hatte sie einfach an der Schulter genommen, zu sich gedreht und in seine Arme gezogen. Im ersten Moment wollte sie sich losmachen, doch schon beim kleinsten Widerstand gab sie auf und klammerte sich stattdessen an seinen Rücken.
»Hast du wirklich geglaubt, ich hätte dich verlassen?«, flüsterte er.
»Ich weiß es nicht.« Zu Leas Erschrecken klang ihre Stimme viel weinerlicher, als sie sich eingestehen wollte. »Aber du warst einfach weg.«
»Ach, Lea … « Er drückte sie noch enger an sich. »Ich dachte, ich hätte das schon deutlich genug gemacht.«
Für einen Moment sagte keiner etwas, sie standen nur Arm in Arm neben dem kalt werdenden Essen. Noel schien Lea ganz leicht umfassen zu können und sie fühlte sich irgendwie geborgen und beschützt, als ob ihr für den Moment keiner etwas hätte tun können. Ein Drache hätte wüten, ein Krieg toben oder nur ihre Mutter mit Räucherstäbchen winken können; Lea könnte einfach den Kopf in Noels Halsbeuge drücken und sich nicht drum kümmern. Es war seltsam, denn sie hatte darüber zwar oft in Büchern gelesen, sich aber nie vorstellen können, dass eine einzige Berührung dazu ausreichen konnte. Außerdem hatte sie sich immer die Frage gestellt,
wovor
sich diese
Weitere Kostenlose Bücher