Dezembergeheimnis
Eingangstür wieder ab.
Während Lea es bedauerte, Noel nicht noch einmal gesehen zu haben, war ihr Kopf außerdem voll mit anderen Gedanken, während sie zurück zur Wohnung fuhr. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich noch einmal hinzulegen, aber an Schlaf war nicht zu denken. Nachdem sie erfolglos im Bett liegend die Decke angestarrt hatte, raffte sie sich schließlich auf und putzte. Und nachdem sie damit fertig war, kramte sie sogar ihr Notizbuch hervor und las sich ein paar alte Ideen durch.
Kurz vor acht startete sie schließlich den Motor ihrer Rostlaube von neuem und fuhr in die Bibliothek. Sie hätte nicht erwartet, dass es in ihrer Konzentrationslosigkeit der vergangenen Tage noch eine Steigerung gab, aber heute war sie ja sogar schon abgelenkt, bevor sie das Gebäude überhaupt betreten hatte.
Kaum hatte sie ihre Sachen abgelegt und sich hinter der Theke positioniert, standen auch schon die ersten Kunden vor ihr und beschäftigten sie für die nächsten Stunden ohne eine einzige Sekunde des Luftholens. Als sie endlich abgelöst wurde und sich dem Aufräumen des Lesesaals widmete, erspähte sie Maria das erste Mal. Die Rothaarige schlich schon den ganzen Tag durch die Regale und schien beinahe, als wollte sie sich verstecken.
»Maria?«, rief Lea und holte zu ihr auf. »Geht’s dir gut?«
Sobald ihre Freundin ihr ins Gesicht sah, war Lea klar, dass sich die Frage erübrigte. Maria sah nicht aus, als ob es ihr gut ging; eher als hätte sie eine Abrissbirne erwischt. Oder als hätte sie die letzte Nacht damit verbracht, einen neuen Weltrekord im Taschentuchverschleiß aufzustellen. Ihre roten Haare waren zerzaust, das Gesicht bleich wie Kreide und die Augen rot und verquollen. Ehe Maria antworten konnte, griff Lea sie am Oberarm und bugsierte sie in das winzige Mitarbeiterkabuff. »Was ist passiert?«
Maria schüttelte nur den Kopf und wirkte dabei so schwach, dass Lea ihr am liebsten den Schnupftabak ihres Vaters unter die Nase gehalten hätte. »Komm schon, rede mit mir. Was ist los?«
»Es ist … es ist …
er
!« Kaum hatte Maria angefangen zu sprechen, zitterten ihre Lippen und die erste Träne kullerte ihr über die Wange. »Es ist Chris. Er hat Schluss gemacht.«
Kapitel 16
Noch am Morgen hatte Lea Noels Fahrstunden mit wenigstens ein bisschen Aufregung und einer beachtlichen Menge Angstschweiß entgegengeblickt, aber nach dem heutigen Tag war ihr überhaupt nicht mehr nach Abenteuer, Spaß und einer Spur waghalsigem Driften. Sie stand gedankenverloren und mit verschränkten Armen mitten auf dem verlassenen Parkplatz, während ihr Blick nur müde ihrem Auto folgte.
»Was ist los mit dir?«, fragte Noel, nachdem er es gerade erfolgreich geschafft hatte, neben ihr zu parken. Er stellte den Motor ab, stieg aus und musterte sie. »Du bist schon den ganzen Nachmittag so still. Bist du nicht stolz auf mich, dass ich so gut fahre?«
»Doch, das ist super.«
Nur dass du es trotzdem niemals im normalen Straßenverkehr tun wirst
.
»Ist in der Bibliothek irgendwas passiert?«
Sich gegen den Wagen lehnend, fuhr Lea mit den Fingern durch die Spitzen ihrer langen, dunklen Haare und seufzte. »Tut mir leid, ich verderbe uns den ganzen Nachmittag. Ich bin nur ein wenig … Ich denke nur nach.«
»Worüber?«
Lea sah Noel an, ehe sie zum Horizont blickte, der durch die untergehende Sonne in ein farbenfrohes Gemisch aus Gelb, Rot und Blau getaucht wurde. »Es geht um meine Freundin Maria. Die, die du damals in der Bibliothek kennengelernt hast.«
»Ja, deine Kollegin mit den roten Haaren.«
Sie nickte. »Kurz vor Weihnachten hat sie angefangen, sich mit ihrem Nachbarn zu treffen. Chris heißt er und er schien ein wirklich toller Typ zu sein … Aber gestern hat er aus heiterem Himmel mit ihr Schluss gemacht. Maria nimmt an, dass er eine andere hat.«
»Oh.« Lea nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Noel sich neben sie gegen das zerbeulte Blech lehnte und den Blick von ihr ab- und ebenfalls dem Himmel zuwandte.
»Sie ist so unglaublich traurig.« In Leas Stimme schwang selbst so viel Leid und Mitgefühl mit, dass Noel mit ihr die Schultern hängen ließ.
»Ist sie in ihn verliebt gewesen?«, fragte er leise.
»Ja, ich denke schon. Ich habe sie selten mit einem solchen Strahlen im Gesicht gesehen wie in den letzten Wochen … Und so viel, wie sie heute geweint hat, ist sie es ganz sicher.« Für einen Moment schwiegen sie und sahen lediglich dem Himmel dabei zu, wie er immer mehr
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