Dezembergeheimnis
bisschen weiter nach unten und sie wich seinem Blick aus. Er hatte damit ja nichts Falsches gesagt; ganz und gar nicht. Aber sie kam nicht umhin, sich zu fragen, ob er sich auch immer so gefühlt hatte, wenn sie diese Antwort irgendwem gegeben hatte. So … zurückgestoßen.
»Auf jeden Fall hat sie mich gefragt, warum du so traurig aussehen würdest, und da habe ich von Maria erzählt … Tut mir leid, war das unangemessen?«
Lea biss die Zähne zusammen. »Ja. Es ist Marias Problem und folglich ihre Entscheidung, wer davon etwas erfährt und wer nicht.«
»Aber du hast es mir auch erzählt?«
»Das ist doch etwas völlig anderes.« Lea blieb der Mund offen stehen. »Du bist … du bist mein Vertrauter. Und wer ist sie? Eine Kollegin, nichts weiter.«
»Sie ist eine Freundin.«
»Du kennst sie seit einem Tag.« Das kam etwas schnippischer aus ihr herausgebrochen, als es beabsichtigt gewesen war und sie presste schnell dieLippen aufeinander. Noel wich ein Stück zurück und musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Warum bist du so böse deswegen? Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn ich neue Freunde finde.«
Lea hielt die Luft an, bis sie sich an die Stirn fasste und den Kopf schüttelte. »Bitte entschuldige. Es war nur ein sehr anstrengender Tag. Können wir nach Hause fahren?«
Noel willigte ein, überließ ihr sogar diskussionslos die Schlüssel und sie verließen den Parkplatz. Aber plötzlich war da ein neuer Gedanke in Leas Kopf, der sich kontinuierlich wiederholte: Was geschah, wenn Noel sich in eine andere verliebte? Wenn er so viel eigenen Charakter entwickelte, dass er endlich die langweilige Lea sah, die sie eigentlich war?
Sie sprachen an diesem Abend nicht viel, aber zum ersten Mal empfand Lea diese Stille nicht als angenehm. Sie machte ihnen beiden etwas zu essen, sie sahen eine weitere Folge
Wer wird Millionär
, aber alles fühlte sich unentspannt und nicht richtig an. Beide versuchten ab und zu, ein Gespräch zu beginnen, aber Lea verfiel viel zu oft in trübsinnige Gedanken und Noel erwähnte für ihren Geschmack viel zu oft eine gewisse Kollegin. Sie musste nicht eifersüchtig sein, das wusste sie, aber trotzdem schaffte sie es nicht, dieses nagende Gefühl zu verdrängen.
Kurz bevor sie an diesem Abend ins Schlafzimmer verschwand, hielt Noel sie mit einer ungewohnten Bitte auf.
»Lea? Kannst du mir auf eine Frage ehrlich antworten?«
Sie hatte sich noch gar nicht die Mühe gemacht, weiter zu gehen, und antwortete: »Ja, sicher.«
»Warum macht dich das mit Sally und Maria so traurig?«
»Na, sie sind meine Freund–«
»Ich weiß. Sie sind deine Freundinnen und deswegen machst du dir Sorgen. Aber ich habe das Gefühl, dass das nicht alles ist. Du wirkst seit ein paar Tagen, als wärst du … gar nicht mehr hier.«
Sie drehte sich komplett zu ihm zurück und atmete hörbar aus. »Es ist nur … weißt du, kurz nach Weihnachten und Silvester waren alle so … glücklich. Alle waren so voller Liebe und schienen genau das gefunden zu haben, was sie erfüllte. Das hat mir Mut gemacht. Es hat irgendwie die Hoffnung in mir geweckt, dass alles gut sein kann. Dass man glücklich sein kann; dass das wirklich realistisch möglich ist.« Sie zögerte und sah auf den Boden, denn selbst im Dunkeln wollte sie seinem Blick nicht begegnen. »Und irgendwie konnte ich dadurch auch leichter glauben, dass Wunder möglich sind. Und jetzt, nur ein paar Tage später, sieht alles wieder ganz anders aus. Liebe scheint eben doch nicht einfach so zu funktionieren, nur weil man es will.«
»Nein. Man muss daran arbeiten.«
»Aber was, wenn selbst das nicht hilft?« Lea hob den Kopf wieder, war aber froh, dass das Licht nicht brannte. Ihre Stimme klang schon verloren genug, da musste Noel nicht auch noch ihren Gesichtsausdruck sehen. Der richtete sich in seinen Kissen auf, doch sie wies ihn mit einem »Bleib sitzen« dazu an, nicht zu ihr zu kommen.
»Lea? Hast du Angst?«, fragte er stattdessen und sie wusste, dass sie ihm nichts vormachen konnte.
»Nein«, log sie trotzdem und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich mache mir nur Sorgen um meine Freundinnen. Und jetzt gehe ich ins Bett. Schlaf gut.«
Als sie Noel den Rücken zuwandte, war ihr klar, dass er ihr noch hinterher sah, bis sie die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen hatte und vielleicht auch noch länger.
Angst. Kein anderes Wort hätte das seltsam pulsierende, gleichzeitig kalte und unangenehme
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