Dezembergeheimnis
summte irgendein Gerät, vielleicht ein Ofen oder die Lüftung. Lea wippte ein paar Minuten auf dem Stuhl hin und her und starrte auf die angesprühten Weihnachtsmotive an den Scheiben, bis es ihr wie Schneeflocken aus den Haaren fiel: Hatte sie das gerade richtig verstanden und Großmutter Peters wusste über Kuchenmänner Bescheid?
Prompt hielt sie mucksmäuschenstill in der Bewegung inne und lauschte auf jedes Geräusch aus den hinteren Räumen, konnte aber nicht mal einen Gesprächsfetzen heraushören. Wie konnte die Bäckerin so ruhig bleiben? Noel hatte ihr immerhin eine
abgefallene Hand
präsentiert! Und nicht nur das: Statt Blut und Fleisch waren da Krümel und Teig! Hatte Noel Frau Peters etwa die Wahrheit erzählt, als sie ihn eingestellt hatte? Aber um in einem solchen Augenblick Hilfe leisten zu können, musste sie mehr wissen, als nur, dass er selbstgebacken war; und das wäre immerhin mehr als Lea wusste. Oder hatte Noel die alte Dame in mehr eingewiesen als sie? Nein, das machte keinen Sinn.
Sie fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und atmete tief durch. Die letzten Tage waren ätzend genug gewesen, sodass nun nicht mehr die Zeit für voreilige Vermutungen war. Sie würde einfach warten, bis die beiden wieder aus dieser vermaledeiten Tür kamen und sich dann alles erklären lassen. Kinderspiel.
Wer hätte gedacht, dass es so lange dauern konnte, eine Teighand zu richten? Sicher, Operationen am menschlichen Exempel verliefen auch nicht schneller, aber Lea wusste nicht mal, ob dieser Vergleich überhaupt angebracht war. Nach einer Stunde war sie beinahe vom Stuhl gerutscht, ehe sie aufgestanden war und begonnen hatte, den Verkaufsraum zu erkunden. In der Zwischenzeit waren zwei Kunden gekommen, die nach kurzen Gesprächen mit Lea und maximal zehn Minuten Wartezeit verärgert das Feld geräumt hatten.
Dreimal war Lea kurz davor gewesen, einfach in die Küche zu gehen, um nachzuprüfen, was dort so lange dauerte, ehe sie sich immer wieder ihren guten Vorsatz des Vertrauens ins Gedächtnis rief.
Gerade als sie erneut auf dem Stuhl Platz genommen hatte, wurde die Schwingtür aufgestoßen.
»So, alles wieder heile«, verkündete Noel und hielt triumphierend den Arm nach oben.
»Wirklich? Dir geht’s gut? Alles noch dran?« Lea sprang sofort auf die Beine und flitzte zu ihm. Noel streckte ihr die Hand entgegen und fürwahr: Sie sah wieder aus wie eine völlig normale Hand; keine Dellen mehr und kein krümelnder brüchiger Teig. Er wackelte mit den Fingern, während sie sie mit beiden Händen abtastete.
»So gut wie neu.«
Mit aufgehellten Mienen sahen sie sich an, bis ein Räuspern ihre Aufmerksamkeit auf Frau Peters lenkte, die hinter Noel den Verkaufsraum betrat.
»War gar nicht so leicht, aber ihr seid ja zum Glück schnell gekommen. Gerade noch mal gut gegangen.«
In Sekundenschnelle hatte Lea von Noel abgelassen und stand mit einem Dackelblick vor ihr. »Haben Sie vielen Dank, Frau Peters, wirklich; vielen, vielen Dank! Wie kann ich das nur jemals wieder gutmachen? Und woher wussten Sie überhaupt, was Sie tun mussten? Wie haben Sie das nur geschafft?«
Die Alte lächelte traurig. »Sagen wir, ich habe einfach meiner Intuition als Bäckerin vertraut. Lass dir den Rest von deinem Jungen erzählen, ich bin müde und will für heute nur noch den Laden zumachen.«
»Das verstehen wir, Frau Peters, nicht wahr, Lea?«
»Ja.« Sie nickte eilig, aber ihr Blick blieb an der Bäckerin hängen. »Ja, natürlich. Aber haben Sie wirklich noch mal vielen Dank, ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten.«
»Schon gut, ich bin froh, wenn ich helfen konnte.« Sie nickte Noel zu und Lea setzte sich in der gleichen Sekunde in den Kopf, herauszufinden, was hier Sache war; kam, was da wollte. Der frisch genesene Patient schien es jedoch als oberste Priorität zu sehen, sie, so schnell es irgend möglich ging, aus dem Laden zu bugsieren, bis sie endlich wieder im Auto saßen und den Heimweg antraten. Von seiner Chefin hatten sie noch ein paar Verkaufsreste sowie einen fertig angerührten Teig mitbekommen und die ganze Fahrt über sinnierte er laut darüber, welch großen Hunger er hätte. Lea tat zwar, als würde sie auf diese Maskerade einsteigen, quittierte seine miserablen Schauspielkünste jedoch vorrangig mit einer misstrauisch erhobenen Augenbraue. Und egal, wie viel Noel diskutierte, zu Hause angekommen ließ
sie
sich dieses Mal nicht davon abbringen, die Beutel und Tüten nach oben zu
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