Dezembergeheimnis
möchtest, dass ich dort arbeite, dann sag es.«
»Nein, arbeite da. Ich freue mich, dass du so leicht etwas gefunden hast. Es ist nur schade, dass … «
»Dass …?«, hakte Noel nach, als sie verstummte.
»Dass wir uns so selten sehen, das ist alles.«
»Aber wir sehen uns doch genauso oft wie vorher auch. Ich bin wie sonst zu Hause, wenn du kommst, und du fährst mich ja sogar noch früh zur Bäckerei.«
»Aber dann bin ich müde und kriege gar nichts mit. Und abends gehen wir viel früher ins Bett, damit wir morgens hochkommen. Und außerdem war ich die ganze Woche total abgelenkt von dem Stress auf Arbeit und all diesen blöden Trennungen und Streitigkeiten und du von all den neuen Eindrücken und Leuten.«
»Geht es denn Maria immer noch nicht besser?«
»Nein, ihr geht es immer noch nicht besser.« Sie feuerte einen der schmutzigen Teller in die Spüle, sodass das hochgespritzte Wasser sie fluchen ließ. »Deswegen nennt man es Liebe, weil es verletzt und wehtut! Und nicht nach zwei Tagen wieder vorbei ist, egal was Stella sagt.« Sie biss die Zähne aufeinander.
»Vorsicht!«
Lea konnte gar nicht so schnell gucken, da hatte Noel schon in das volle Spülbecken gegriffen und ihre Hand aus dem Wasser gezogen. »Da sind Scherben!«
Er zog mit der anderen Hand den Stöpsel und sie sah die großen Stücke des Trinkglases, das sie mit dem Teller zerteilt hatte.
»Ach du … «, flüsterte sie und legte sich die Finger über die Lippen. »Das habe ich gar nicht mitgekriegt. Danke dir.« Mit großen Augen sah sie zu Noel, bereit, ihm um den Hals zu fallen und sich für jede Überempfindlichkeit zu entschuldigen – bis sie neben dem Lächeln die Falten auf seiner Stirn entdeckte.
»Alles okay? Hast du ins Glas gegriffen?« Ein Blick auf seine Hand verriet, dass es nicht das Glas war, was ihm zu schaffen machte, sondern das Wasser.
Mit einem Japsen sog sie die Luft ein; Noel drückte sich die Rechte gegen die Brust, taumelte ein Stück zurück, bis er sich gegen einen der Barhocker stieß.
»Oh Gott«, murmelte Lea, griff nach einem Handtuch, ließ es fallen, schnappte sich stattdessen die Küchenrolle, ließ sie wieder liegen, ehe sie Richtung Bad hechtete. Seine Haut weichte auf wie Kuchenteig. »Ein Fön. Wir brauchen einen Fön.«
»Ein Fön bringt nichts.« Noel kniff die Augen zusammen, atmete tief durch und betrachtete sich seine rechte Hand. Die Finger der anderen hatten Abdrücke hinterlassen und er hielt bereits die ersten Krümel in der Handfläche.
»Es tut mir so leid«, jammerte Lea, als sie wieder neben ihm zum Stehen kam. »Was können wir denn tun? Sag mir, wie ich dir helfen kann!«
»Atme tief durch. Wir müssen Ruhe bewahren.« Er sah ihr eindringlich in die Augen und wartete ein paar Sekunden, ehe er fortfuhr. »Wir müssen zu Frau Peters. Wenn uns eine helfen kann, dann ist es sie.«
Lea stellte nicht mal irgendwelche Fragen, sondern schnappte einfach nur seine Schuhe und Jacke, in die sie ihn notbedürftig hineinjustierte. Keine zwei Minuten später saßen sie bereits im Wagen auf dem Weg zur Bäckerei.
»Fahr vorsichtig«, ermahnte Noel sie, was Lea nur mit einem Grummeln quittierte. Wie sollte sie sich an die Verkehrsordnung halten, wenn ihm grade wortwörtlich die Hand abfiel?
»Was musst du auch ins Wasser greifen? Dann hätte ich mich eben ein wenig geschnitten, na und? Hundertmal besser, als wenn du dich verletzt.« Sie presste die Lippen aufeinander, während sich in ihrem Kopf ein Arsenal aus Flüchen wiederholte.
»Da haben wir wohl eine unterschiedliche Auffassung«, erwiderte Noel mit einem schiefen Grinsen. Lea schoss ihm einen verständnislosen Blick zu, aber sie erwiderte nichts mehr.
Gefühlte Stunden, aber in Realzeit nur etwa zehn Minuten, später, konnte Lea das Auto endlich vor der kleinen Backstube parken. Wie eine aufgescheuchte Zwei-Mann-Elefantenherde stürmten sie den Laden, der glücklicherweise zwar geöffnet, aber bis auf Frau Peters völlig leer zu sein schien. Noel brauchte Frau Peters die Hand nur zu zeigen, da nickte sie schon und bedeutete ihm, nach hinten zu gehen.
»Kindchen, wundere dich nicht, ich kann ihm helfen. Am besten du wartest einfach kurz hier, dann sehe ich, was ich tun kann«, wies die Bäckerin Lea an.
»Ähm … okay.« Das gefiel der zwar ganz und gar nicht, aber sie tat wie ihr geheißen, setzte sich artig auf einen der Stühle und zwang sich zur Geduld.
Die Uhr über der Theke tickte und im Hintergrund
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