Dezembersturm
April war es auch nicht mehr weit.
III.
In Berlin angekommen, nahm Fridolin sich nur die Zeit, seinen Koffer in das Zimmer zu schaffen, das er bei einer ältlichen Lehrerswitwe gemietet hatte, und in seinen Ausgehanzug zu schlüpfen. In einem Glas im Schrank fand er noch ein paar Groschen, die er gleich wieder für eine Droschke ausgab, um schneller als sonst ins »Le Plaisir« zu kommen. Am Ziel angekommen, bezahlte er den Kutscher und stürmte durch den Eingang.
Anton, Hede Pfefferkorns Hausdiener, empfing ihn mit sichtlicher Freude. »Schön, Sie zu sehen, Herr Fridolin! Die Madame hat schon bedauert, dass Sie nach Ostpreußen gefahren sind.«
»Jetzt bin ich wieder hier. Wo kann ich Madame finden?«
»Im großen Salon. Warten Sie, ich bürste Ihnen den Kragen ab. Ich glaube nämlich, dort ein Staubkorn zu sehen!« Noch während Anton das sagte, brachte er Fridolins Mantel in die Garderobe und kehrte mit einer weichen Bürste zurück.
Fridolin ließ ihn genau ein Mal über den Kragen seines Jacketts fahren, dann kehrte er ihm den Rücken und eilte weiter. Im großen Salon, einem hohen, von Säulen getragenen Raum, der ganz in rotem Plüsch gehalten war, tummelten sich etliche junge Frauen in aufreizenden Kleidern und eine stattliche Anzahl von Männern jeden Alters. Weiter hinten schäkerten mehrere Studenten miteinem der Mädchen. Diesen Burschen ging es meist nur darum, den berüchtigten Sündentempel einmal von innen gesehen zu haben, denn ihnen fehlte entweder das Geld oder die Courage, mit einem Mädchen im Séparée zu verschwinden. Zwei schneidige Offziere in Uniform hatten genau das vor, schwankten aber noch, ob sie eine Blondine oder Brünette bevorzugen sollten.
Fridolins Blick fiel auf einen breitgebauten Mann mit kräftigen Händen, die davon zeugten, dass er hart hatte arbeiten müssen, bevor er zu Reichtum gekommen war. Ebenso wie die Offiziere zählte der Industrielle zu den Stammkunden des »Le Plaisir« und grüßte Fridolin wie einen alten Bekannten.
Er nickte nur knapp, weil er nach Hede Pfefferkorn, der Besitzerin des Bordells, Ausschau hielt. Da er sie nicht auf Anhieb entdeckte, wollte er eines der Mädchen fragen, doch in dem Augenblick trat Hede neben ihn.
Sie war noch recht jung, höchstens Mitte zwanzig, und von betörender Schönheit, die so manchen Mann, der in ihr Etablissement kam, hoffen ließ, eines der Zimmer mit ihr aufsuchen zu können. Den meisten jedoch blieb dieses Vergnügen versagt, denn Madame überließ es im Allgemeinen ihren Mädchen, die Kunden zufriedenzustellen. Nur wenigen ausgesuchten Herren wurde ihre Gunst zuteil. Fast ausnahmslos handelte es sich um Männer, die in der Lage waren, das »Le Plaisir« vor übereifrigen Gendarmen zu bewahren oder die Steuerbehörden dazu zu bringen, das eine oder andere Auge zuzudrücken.
Der Einzige, mit dem sie gelegentlich ohne Hintergedanken das Bett teilte, war Fridolin. Natürlich genoss er diese Gunst, aber er hatte bei ihr das Gefühl, sie sähe in ihm eher den jugendlichen Liebhaber als einen erwachsenen Mann, denn sie benahm sich ihm gegenüber so bestimmend, als sei sie seine ältere Schwester. Auch diesmal ließ sie ihn nicht zu Wort kommen, sondern drückte ihm eine Rolle Münzen in die Hand.
»Es ist schön, dass du gekommen bist, mein Lieber. Ich brauche dich nämlich. Rendlinger will wie immer spielen, bevor er sich für eines der Mädchen entscheidet, doch heute Abend ist niemand bei uns zu Gast, der sein Partner sein könnte. Setz dich zu ihm und spiele ein paar Partien mit ihm. Was du verlierst, geht auf meine Rechnung. Gewinnst du, kannst du das Geld behalten.«
Mit diesen Worten schob sie den jungen Mann auf den Tisch zu, an dem der vierschrötige Industrielle saß. Fridolin sagte sich, dass Hede wohl eher bereit war, ihm das Geld für die Überfahrt nach England zu leihen, wenn er ihr diesen Wunsch erfüllte.
Daher setzte er sich nach einer knappen Verbeugung zu Rendlinger an den Tisch. »Einen schönen guten Abend! Madame sagte, Sie würden gerne ein wenig spielen.«
Während Rendlinger erleichtert nickte, verkniff Fridolin sich ein spöttisches Lächeln.
Der Industrielle kam regelmäßig nach Berlin, um Verhandlungen mit Behörden zu führen, und besuchte im Anschluss stets Hede Pfefferkorns Bordell. Während die meisten anderen Gäste ein Glas guten Weines tranken oder gleich Champagner auffahren ließen, benötigte Rendlinger den Reiz eines Kartenspiels, um in Stimmung zu kommen. Dabei
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