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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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seiner Töchter verführen und schwängern. Aber selbst dann würde er, so glaube ich, eine Heirat des Mädchens mit dir begrüßen. Ich habe die beiden schon einmal Unter den Linden flanieren gesehen. Das sind Trampel, sage ich dir. Du hast schon recht: Rendlinger ist ein unangenehmer und großsprecherischer Mensch. Aber so ist eben das neue Reich, das Herr von Bismarck geschaffen hat, und so muss man sich mit Menschen wie Rendlinger arrangieren. Der kommt auch nur hierher, um mit meinen Mädchen Dinge zu tun, die zu Hause bei ihm im Ehebett nicht möglich wären. Was meinst du, warum ich immer darauf achte, dass sich Reinalde um ihn kümmert? Sie ist zwar nicht die Jüngste und Schönste meiner Schützlinge, aber sie besitzt einen flinken Mund und kann ausgezeichnet auf der speziellen Flöte spielen. Außerdem ist sie auch zu anderen Dingen bereit, die Gerda und die anderen Mädchen nicht so gerne machen.«
    »Du meinst, auf die Art der alten Griechen? Rendlinger sieht mir ganz so aus, als würde er das zu schätzen wissen«, sagte Fridolin spöttisch.
    Hede zuckte kühl mit den Schultern. »Er kommt gewiss nicht hierher, um das zu tun, was seine Ehefrau zulässt! Aber jetzt zu dir. Willst du heute noch aufbrechen oder die Nacht über hierbleiben? Bei dem Geld, das du Rendlinger aus den Taschen gezogen hast, könntest du dir eines meiner Mädchen leisten.«
    Der Gedanke, sich mit einer Hure im Bett zu tummeln, während Lores Leichnam vielleicht irgendwo in England aufgebahrt lag, stieß Fridolin derart ab, dass er heftig den Kopf schüttelte. »Ich fahre gleich heute. Halt, warte! Hier, schenk deinen Mädchen ein paar Flaschen Champagner ein.« Fridolin griff in die Jackentasche, holte ein Zwanzigmarkstück heraus und warf es Hede zu.
    Diese fing es auf und ließ es in einer Kassette verschwinden. »Damit gibst du mir den Glauben an dich zurück! Viel Glück, Junge, und bleib sauber. Es ist das Beste für dich!«
    »Ich versuche es, Hede«, antwortete Fridolin, der in Gedanken bereits unterwegs war.

IV.
     
    Als Lore erwachte, lag sie in einem ihr unbekannten, abgedunkelten Raum und wusste nicht mehr, wie sie dorthin gelangt war. Ihr Gehirn war leer, als hätte ihr jemand alle Gedanken herausgesaugt. Dazu klebte ihr die Zunge am Gaumen, und ihr Nachthemd war so durchgeschwitzt, dass es sich unangenehm feucht anfühlte. Durch einen Spalt unter den Vorhängen drang grelles, weißes Licht in ihre Augen und bereitete ihr Kopfschmerzen. Die Fensterscheibe war von außen mit Schnee bedeckt, der ständig vom Wind dagegengetrieben und von der stickigen Hitze im Zimmer gleich wieder aufgetaut wurde, so dass dicke Tropfen herabrannen.
    Lore wunderte sich, wieso es so warm war, denn es gab keinen Ofen im Zimmer, und der Kamin schien reine Zierde zu sein. Als sie die Beine aus dem Bett schwang, um etwas frische Luft hereinzulassen und einen Nachttopf zu suchen, berührte sie mit den Füßen eine der großen Röhren, die unter dem Fenster entlangliefen. Diese war so heiß, dass sie sich die Zehen verbrannte und vor Schreck einen Schrei ausstieß. Das musste eine jener neumodischen Dampfheizungen sein, über die sie schon in der Zeitung gelesen hatte. Die Räume auf der
Deutschland
waren mit etwas Ähnlichem beheizt worden, schoss es ihr wie ein aufflackerndes Licht durch den Kopf. Doch das war ihr und auch vielen anderen Passagieren erst in jener schrecklichen Nacht bewusst geworden, als das eindringende Wasser die Feuerung erstickt und die Kälte sich im Innern des Wracks ausgebreitet hatte. Bei dieser Erinnerung wurde ihr trotz der Hitze im Raum mit einem Mal kalt, und so kroch sie mit klappernden Zähnen rasch zurück ins Bett.
    Jemand schien sie gehört zu haben, denn kurz darauf ging die Tür auf, und eine vierschrötige Frau in Schwesterntracht betrat das Zimmer. Das gab Lore einen Stich, denn hatte Onkel Thomas nicht eingewilligt, Prudence als Zofe für sie und Nati einzustellen? Augenscheinlich hatte er sich doch für eine professionelle Krankenschwester entschieden. Die Frau schimpfte sofort los, weil Lore sich aufgedeckt hatte, und stopfte das Bett um sie herum neu. In ihrer Verwirrung fand Lore nicht das richtige englische Wort für Nachttopf. So zeigte sie auf die Stelle, wo sich unter dem Plumeau ihr Bauch befand, und sagte: »Pipi.«
    Zum Glück verstand die Frau sie. Sie nahm einen dicken, ganz neu aussehenden Morgenmantel aus dem Schrank, schob die Bettdecke schwungvoll zurück und wickelte Lore mit geübten

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