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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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leerte er eine Flasche Wein und tat ganz so, als wären die Mädchen, die er sich danach aussuchte, nur eine Zugabe.
    Fridolin hielt den Mann für verklemmt, doch das hinderte ihn nicht, die Geldstücke, die Hede ihm zugesteckt hatte, auf den Tisch zu legen und Rendlinger auffordernd anzusehen.
    Der Mann griff in die Jackentasche und zog einen Beutel hervor, in dem es verführerisch klimperte, und beantwortete dann erst Fridolins Gruß. »Guten Abend, Herr von Trettin«, sagte er und betonte das »von« hämisch.
    Rendlinger machte keinen Hehl daraus, dass er ihn für einen adeli gen Tagedieb hielt, dem ungerechterweise viele Türen offenstanden, die er sich als bürgerlicher Industrieller erst mühsam mit Geld hatte öffnen müssen.
    Mit einem routinierten Lächeln griff Fridolin nach den Karten, mischte und teilte aus. Bei den ersten Spielen wechselte der Gewinner mehrmals, doch dann hatte Fridolin eine Glückssträhne, in der sich die goldenen Zwanzigmarkstücke vor ihm auf dem Tisch verlockend mehrten. Rendlinger spielte nun immer verbissener, um das Geld zurückzugewinnen, setzte höher und verlor erneut, aber diesmal durch einen eigenen Fehler.
    Während Fridolin die Münzen zu sich heranzog, spürte er, wie seine Finger zitterten. Er hatte Rendlinger bereits so viel abgenommen, dass er mehr als einen Monat würde davon leben können. Sein Ziel war jedoch England, und die Reise dorthin kostete einiges mehr, als die goldenen Zehn- und Zwanzigmarkstücke vor ihm wert waren. Außerdem würde er für sich und Lore die Überfahrt nach Amerika finanzieren müssen. Und die dafür benötigte Summe würde er auch nicht von Hede bekommen.
    Fridolins Mund wurde trocken, und er war froh, als eines der Mädchen ihm ein Glas Wein hinstellte. Er trank, versuchte Rendlingers Miene zu lesen und entnahm dessen Blick, dass dieser ein ausgezeichnetes Blatt haben musste. Da seine eigenen Karten mittelmäßig waren, ließ er sich auf keinen langen Kampf ein, sondern gab das Spiel mit dem Verlust von zehn Mark verloren. Als er die Münze zu Rendlinger hinüberschob, blutete ihm das Herz. Der Mann war reich wie Krösus und würde, wie er eben stolz berichtete, bald in den preußischen Adelskalender aufgenommen werden.
    »Wir leben in neuen Zeiten, Herr von Trettin. Die Zukunft gehört nicht mehr dem alten Adel auf seinen Gütern, sondern uns Industriellen, die dieses Land mit ihren Fabriken groß und mächtig machen. Schon bald wird Seine Majestät, der Kaiser und König von Preußen, seine Unterschrift unter mein Adelspatent setzen.Dann werde ich Baron von Rendlinger sein. Welchen Titel tragen eigentlich Sie?«
    »Freiherr von Trettin«, antwortete Fridolin mit leicht verkniffener Miene. Es ärgerte ihn, dass der andere zusätzlich zu seinem vielen Geld auch noch in den Adelsstand erhoben werden sollte. Doch so war nun einmal die Welt. Wo ein großer Haufen lag, kam noch mehr dazu, während er selbst zusehen musste, wie er die paar Groschen zusammenbrachte, die sein Zimmer kostete.
    »Freiherr, das ist doch das Gleiche wie ein Baron«, erklärte Rendlinger selbstgefällig.
    »Einen Unterschied gibt es aber doch«, antwortete Fridolin mit einem Lächeln, dem jede Freundlichkeit fehlte. »Wir Trettins gehörten zu den Ersten, die im Gefolge des Deutschen Ordens in Ostpreußen gesiedelt haben. Ein Trettin kämpfte mit in der Schlacht von Tannenberg. Ein anderer Trettin war Page bei der Krönung König Friedrichs I. in Königsberg. Dessen Sohn diente als Oberst in der Armee König Friedrich Wilhelms I., und dessen Sohn wiederum kämpfte in einem Dutzend Schlachten für Friedrich den Großen. Mein Vater fiel für König und Vaterland im Kampf um die Düppeler Schanzen in Schleswig. Das sind Verdienste, die sich nicht einfach mit Geld aufwiegen lassen!«
    Im Allgemeinen war Fridolin verbindlich, doch der selbstgefällige Stolz, mit dem Rendlinger auf ihn herabsah, hatte ihn gereizt.
    Der Industrielle lachte höhnisch auf. »Wir werden sehen, Herr von Trettin, wer von uns beiden einmal den höheren Rang bekleiden wird. Ich habe in meinem Leben genug Geld erworben, um meinem Sohn den Titel eines Grafen und meinen Töchtern die Heirat mit Herzögen erkaufen zu können.«
    Dann hast du auch genug Geld, um mir die Reise nach England, Amerika oder wohin auch immer bezahlen zu können, fuhr es Fridolin durch den Kopf. Bis jetzt war er immer stolz darauf gewesen, ehrlich zu spielen, doch nun entwickelten seine Finger einEigenleben. Als er gab,

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