Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
Griffen in das Kleidungsstück ein. Dann zog sie ihr daunenweiche Pantoffeln über, stellte sie auf die Beine und führte sie mit festem Griff in einen kleinen Flur, von dem sechs Türen abgingen. Einedavon war beinahe unsichtbar hinter der Garderobe angebracht und enthielt ein Bad. Lore sah eine moderne Toilette mit Wasserspülung und verschiedene Wannen und Becken vor sich. Ohne ihren Griff zu lockern, setzte die Frau Lore auf die Schüssel und hielt sie ab wie ein Kleinkind. Dann setzte sie sie auf eine Art kleines Wasserbecken, das daneben am Boden befestigt war, wusch sie und trocknete sie ab.
    Es fehlt nur, dass sie mir eine Windel anlegt, dachte Lore, die vor Scham fast verging. Außer ihrer Mutter hatte sie noch nie jemand nackt gesehen, geschweige denn angefasst, noch nicht einmal Elsie. Das gehörte sich einfach nicht. Aber Krankenschwestern und Kindermädchen mussten solche Dienste wohl bei vielen Personen verrichten.
    Während die Frau ihr Gesicht und Hände an einem großen Becken wusch, schwor sie sich, niemals einen in ihren Augen so demütigenden Beruf zu ergreifen. Dann fiel ihr Nathalia ein. Sie hatte dem Kind schon den gleichen Dienst erwiesen, und sie würde es auch wieder tun – sooft und solange die kleine Lady ihre Hilfe benötigte. Sie wollte die Schwester fragen, wie es der Kleinen ging, doch sie brachte nur ein Krächzen heraus, und als sie aufstehen wollte, knickten ihr die Beine weg. Die Krankenschwester nahm sie auf die Arme und trug sie zurück in das Bett, das gerade von einem Zimmermädchen frisch überzogen worden war.
    Lore kuschelte sich in die trockenen, nach Lavendel duftenden Federkissen und trank gehorsam bitteren Kräutertee aus einer Schnabeltasse. Ehe sie ihre Stimme wiedergefunden hatte und nach ihrem kleinen Schützling fragen konnte, füllte sich das Zimmer mit Menschen.
    Nati stürmte wie ein wild gewordenes Rehkitz herein, gefolgt von Prudence, die vergebens versuchte, das Kind davon abzuhalten, auf das Bett zu klettern und sich rittlings auf die Patientin zu setzen.Die Kleine umarmte Lore so stürmisch, dass die Schnabeltasse durch den Raum flog und den Rest ihres Inhalts über die weichen Teppiche verschüttete.
    Die Krankenschwester zeterte, wurde aber von Onkel Thomas, der leise den Raum betreten hatte, sofort beruhigt. Mary humpelte herein, auf zwei neue, zierlichere Krücken aus Metall gestützt, gefolgt von Konrad, der einen Korbstuhl und einen großen, ebenfalls ganz neu aussehenden Nähkorb schleppte. Sogar Onkel Thomas’ Kutscher und Weates, der englische Lakai, lugten durch die Tür und fragten, ob es der deutschen Miss endlich bessergehe. Onkel Thomas scheuchte sie lachend weg und sagte, sie sollten jeder ein Ale auf Lores Gesundheit trinken.
    Prudence hatte Nati inzwischen von Lore heruntergehoben und es sich mit dem Kind zusammen auf dem Bettrand bequem gemacht, während Mary im Korbstuhl neben dem Kopfende Platz nahm und ihre Näharbeit auspackte. Lore sah glücklich von einem zum anderen und wusste nicht, wonach sie zuerst fragen sollte.
    Onkel Thomas gab der Krankenschwester frei und drückte ihr noch ein Trinkgeld in die Hand. Dann zog er den Sessel, der am Fußende des Bettes gestanden hatte, näher heran und beantwortete Lores fragenden Blick mit einem Lächeln. »Nun, mein Fräulein, wieder unter die Lebenden zurückgekehrt? Du hast uns ja einen schönen Schrecken eingejagt.«
    Lore musste sich räuspern. »Was … Was ist passiert?«
    »Oh, du bist beim Aussteigen aus der Kutsche in Ohnmacht gefallen und bis heute nicht mehr richtig daraus erwacht. Nervenfieber durch Aufregung und Erschöpfung, hat der Arzt gesagt. Zum Glück ist keine Lungenentzündung dazugekommen, sonst hättest du sterben können. Es war auch so schon schlimm genug. Du hast wild phantasiert und dich im Bett herumgeworfen, so dass wir dich keinen Augenblick ohne Aufsicht lassen durften. Eben hatte die Krankenschwester gerade mal für ein paar Minuten das Zimmerverlassen, und da wirst du wach und willst schon herumspazieren!«
    Lore hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Sie durfte niemandem zur Last fallen, sondern musste für alles selbst Verantwortung tragen. Das hatten ihre Mutter und der Großvater ihr beigebracht. »Es tut mir leid! Ich wollte Ihnen … eh, dir keine Arbeit machen, Onkel Thomas. Den Arzt und die Krankenschwester kann ich bezahlen, keine Sorge. Mein Großvater hat mir etwas Geld für die Reise mitgegeben!«
    Onkel Thomas lachte schallend und schüttelte den

Weitere Kostenlose Bücher