Dezembersturm
hauptstädtische Attitüde angesehen wurde, der sich in dieser Gegend höchstens gelangweilte Garnisonsoffiziere hingaben, die sich wenig um das gesetzliche Verbot solcher Zweikämpfe scherten. Ein Gutsherr, der sich auf so eine Sache einließ, würde von der hiesigen Gesellschaft geschnitten werden. Das aber konnten sie sich gerade in ihrer Situation nicht leisten.
»Du solltest diese Verleumder verklagen«, erklärte Malwine daher mit Nachdruck.
»Du bist gut! Mehrere unserer Nachbarn haben mich bereits aufgefordert, die Klage gegen Doktor Mütze wegen des Jagdhauses und des dazugehörigen Waldstücks zurückzuziehen. Wenn ich jetzt auch noch gegen einen der Ihren prozessiere, wären wir bei allen unten durch. Bis auf einige wenige Freunde würde uns niemand mehr einladen oder einer Einladung nach Trettin Folge leisten.«
»Und das alles nur wegen dieses alten Bocks, der dein Erbe verschleudert hat, und dessen Trampel von Enkelin! Fragt mich doch die Frau Landrat, dieses Miststück, scheinheilig, wie es denn der lieben Lore gehen würde. Dabei wissen alle, dass der Alte das Mädchen durch Wagner hat fortschaffen lassen. Ich glaube aber nicht daran, dass ihr Ziel Amerika war. Für mich wird die kleine Metze über kurz oder lang in Berlin, Hamburg, Bremen oder sonst wo in einem Bordell landen!« Malwine sah ganz so aus, als gönne sie Lore dieses Schicksal von Herzen.
Ihr Mann fuhr auf. »Bist du närrisch geworden? Wenn es dazu käme, würden wir zum Gespött des gesamten Landkreises. Für uns ist es wirklich das Beste, dass mein Onkel das Mädchen in die Neue Welt geschickt hat. Dort ist sie allen aus den Augen und wird schnell vergessen sein.«
»Und das Geld, das sie mitgeschleppt hat?«, hetzte Malwine.
Ehe ihr Mann antworten konnte, klopfte es, und sein Kammerdiener trat ein. »Ich bitte um Verzeihung, doch Florin ist eben mit den Zeitungen aus Heiligenbeil zurückgekehrt!«
»Er soll sie hereinbringen«, forderte der Gutsherr ihn auf, froh, seine Gedanken auf etwas anderes lenken zu können. Der Diener verbeugte sich und verschwand wie ein Schatten. Kurz darauf kam der Kutscher herein. Er hatte seinen Pelzmantel ausgezogen und die Stiefel gut abgeklopft, trotzdem warf Malwine ihm einen strafenden Blick zu.
Mit einer ungelenken Verbeugung wandte Florin sich an seinen Herrn, ohne diesem in die Augen zu sehen. »Ich habe die Zeitungen gebracht, Herr von Trettin.«
»Leg sie auf den Tisch!«, befahl Ottokar von Trettin und starrte neugierig auf das dicke Paket, das Florin in Wachstuch eingewickelt hatte, um zu verhindern, dass Schnee eindringen und das Papier aufweichen konnte. Jetzt entfernte der Kutscher die Umhüllung und zog sich anschließend mit einer weiteren Verbeugungzurück. Während Ottokar sein Federmesser nahm und die Schnur durchtrennte, die den obersten Packen mit den Zeitungen der letzten Woche aus dem fernen Berlin zusammenhielt, sah seine Frau hinter Florin her und krauste dabei die Stirn. Sie sagte jedoch nichts, sondern trat neben Ottokar und blickte ihm über die Schulter.
»Die Zeitungen schreiben noch immer über dieses untergegangene Schiff. War es nicht auch nach Amerika unterwegs? Ich wünschte, Lore wäre mit an Bord gewesen. Es sind doch alle Frauen mit untergegangen!«
»Nicht alle«, berichtigte ihr Mann sie. »In den Zeitungen der vorletzten Woche stand, etliche Frauen hätten überlebt. Nur diese fünf Klosterschwestern, die sich den Gesetzen in unserem Preußen nicht beugen wollten, sollen ertrunken sein.«
»Um die schwarzen Krähen ist es nicht schade«, spottete Malwine. Unterdessen schlug Ottokar die Zeitung auf und zeigte auf eine lange Liste von Namen. »Schau her! Da stehen die Überlebenden verzeichnet und hier die Toten.«
»Ein Graf Retzmann ist auch umgekommen«, rief Malwine sensationslüstern aus.
»Sein Enkel Ruppert von Retzmann und dessen Schwester oder Cousine Nathalia haben überlebt, ebenso Komtess Nathalias Kinderfrau. Aber … Das ist doch nicht möglich!« Ottokar brach ab und riss die Zeitung hoch, so dass Malwine die Zeile verlor, in der sie gerade gelesen hatte. Bevor sie sich jedoch beschweren konnte, fluchte ihr Mann wie ein Bierkutscher.
»Dieser elende Bock! Ich hätte wissen müssen, dass er uns einen so üblen Streich spielt!«
»Was ist denn los?«, fragte seine Frau verwundert.
»Weißt du, wer die Kinderfrau dieser Komtess Nathalia ist?« Ottokar sah sie dabei mit einem Ausdruck im Gesicht an, der sie erschreckte.
»Sag es schon.
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