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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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geriet. Als er nach einer Weile die geräumte Landstraße erreichte, setzte er die Sporen ein und legte das Stück bis zur Abzweigung nach Elchberg im Galopp zurück. Erst kurz vor dem Nachbargut zügelte er den Hengst und trabte gemütlich auf das Gutshaus zu. Dort angekommen, fragte er den Majordomus als Erstes nach der Uhrzeit, damit dieser sich später erinnern konnte, wann er eingetroffen war. Zwar rechnete Ottokar von Trettin nicht, in Verdacht zu geraten, doch er wollte für Fragen der Polizei gewappnet sein und mit dem Pastor und dem Elchberger Haushofmeister Zeugen benennen können, dass er genau die Zeit zwischen Trettin und Elchberg benötigt hatte, die für einen Ritt bei diesem Wetter angemessen war.
    Danach ließ er sich zu dem verwunderten Grafen führen, dem angesichts der Dämmerung nichts anderes übrigblieb, als ihn für die Nacht einzuladen.

XIII.
     
    Ottokar von Trettins Schüsse waren im Jagdhaus gehört worden. Kord sah Miene an und schüttelte den Kopf. »Das war keine Jagdflinte! Das muss ein Wilderer gewesen sein.«
    »Aber warum hat der gleich drei Mal geschossen, und das so schnell hintereinander?«, fragte die alte Frau.
    »Das ist seltsam. Mit einem Gewehr geht so etwas eigentlich nicht, sondern nur mit einem Revolver, wie Ottokar von Trettin einen besitzt.«
    »Aber warum sollte der Gutsherr um die Zeit im Wald herumballern?« Miene winkte ab und wollte wieder an ihre Arbeit gehen.
    Aber Kord rieb sich nachdenklich über die Stirn, zog dann seine Filzstiefel und den Schaffellmantel an und trat zur Tür. »Ich sehe mal nach, ich habe auf einmal ein ganz ungutes Gefühl.« Er setzte noch seine Mütze auf und eilte dann mit langen Schritten davon. Miene blickte verwundert hinter ihm her, legte dann mit einem Achselzucken Holz nach und setzte Wasser für Grog auf, damit Kord sich aufwärmen konnte, wenn er aus der Kälte zurückkam.
    Ihr Mitbewohner erschien schneller, als sie es erwartet hatte. Mit einem Gesicht so weiß wie der Schnee, der nun wieder in dicken Flocken vom Himmel fiel, stolperte Kord zur Tür herein.
    »Komm schnell!«, keuchte er. »Ich habe Florin gefunden. Jemand hat auf ihn geschossen! Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Wir müssen ihn rasch hier hereinbringen, sonst ist er auf jeden Fall bald tot. Wir nehmen den kleinen Zugschlitten. Ich brauche dich, allein schaffe ich es nicht.«
    »Ich ziehe mich gleich an. Hol du inzwischen den Schlitten aus dem Schuppen.« Miene zog ihre wollene Jacke an, hüllte sich in ihr dickstes Schultertuch und schlüpfte in die mit Heu ausgepolstertenHolzschuhe. Als sie nach wenigen Minuten aus dem Haus kam, stand der kleine Schlitten bereit. Die beiden alten Leute packten das Seil und zogen ihn hinter sich her. Im Osten wurde es bereits dunkel, und Miene jammerte, weil sie keine Laterne bei sich hatten.
    »Bis es Nacht ist, sind wir wieder daheim«, wies Kord sie zurecht. Die Sorge um Florin trieb ihn vorwärts. Trotzdem wäre er beinahe an dem Kutscher vorbeigelaufen, denn der frisch gefallene Schnee bedeckte den am Rand der Straße liegenden Mann wie ein dickes Leichentuch. Zu Kords Erleichterung lag Florins Gesicht jedoch frei, und als er sich über ihn beugte, glaubte er, seinen Atem in der Kälte als leichte Fahne wahrzunehmen.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte er zu Miene, die vor Entsetzen wie erstarrt stand und die behandschuhten Hände gegen die Wangen presste. »O Gott im Himmel, wer kann nur so etwas getan haben?«
    »Hilf mir, Florin aufzuladen. Allein schaffe ich es nicht.«
    Kords scharfer Ruf durchdrang die Erschütterung, die Miene in den Klauen hielt, und sie packte beherzt mit an. Es war für die beiden alten Leute nicht leicht, den Verletzten auf den Schlitten zu wuchten, mit dem sonst Brennholz oder erjagtes Wild transportiert wurde.
    Als Florin endlich darauf lag, wandte Miene sich an Kord. »Sollten wir ihn nicht besser verbinden? Er verblutet uns sonst noch!«
    »Wenn wir ihm die Kleidung im Freien ausziehen, erfriert er, bevor wir fertig sind«, antwortete der Knecht und packte das Zugseil. Auch Miene nahm das ihre zur Hand, und so kehrten sie, so schnell sie es vermochten, zum Jagdhaus zurück.
    Als sie dort ankamen, schwitzten sie wie abgetriebene Pferde und waren so erschöpft, dass sie kaum noch in der Lage waren, den Verletzten ins Haus zu tragen und auf ein Bett zu legen. Als es geschafft war, streifte Miene ihr Schultertuch ab und warf es ineine Ecke. Ihre Jacke und die Holzschuhe folgten, dann begann

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