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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sie, Florin aus seiner Kleidung zu schälen.
    Kord stand einige Augenblicke mit der Schulter gegen die Wand gelehnt da und sah ihr zu. Schließlich schüttelte er sich und schlurfte zum Herd, um das Feuer anzuschüren.
    »Wir werden viel heißes Wasser brauchen und saubere Binden. Am liebsten würde ich ja gehen und den Doktor holen. Doch in der Nacht und bei dem Wetter schaffe ich es nicht bis Heiligenbeil.« Der alte Mann klang bedrückt, als mache er es sich selbst zum Vorwurf, dass ihm die Kraft früherer Jahre fehlte.
    Miene zuckte mit den Achseln. »So Gott will, wird Florin die Nacht auch ohne Doktor überleben. Zum Glück blutet er jetzt nicht mehr so stark. Wenn wir ihm Rote-Rüben-Saft einflößen und ein wenig Grog, haben wir beide getan, was wir konnten. Morgen früh kannst du dann zur Landstraße gehen und sehen, ob du ein Fuhrwerk findet, das dich in die Stadt mitnimmt.«
    »Das wird wohl das Beste sein.« Kord trat neben sie und half ihr, Florins Oberkörper freizulegen. Drei Einschüsse waren zu sehen.
    »Wer auch immer das getan hat, wollte Florin tot sehen«, stellte Miene fest.
    Kord deutete auf die Einschusslöcher. »Es ist ein Wunder, dass er noch nicht tot ist. Normalerweise überlebt das kein Mensch.«
    »Noch atmet er. Hoffen wir, dass er durchhält. Wir beide werden ihn jetzt verbinden. Gib mir das Jod! Es müsste welches in dem Schrank dort sein. Ich bleibe die Nacht über auf und wache bei ihm. Du legst dich hin, denn du hast morgen einen weiten Weg zurückzulegen.« Letzteres klang drängend, weil Kord Anstalten machte, Miene zu widersprechen.
    Der Knecht überlegte kurz. »Du hast recht. So erschöpft, wie ich jetzt bin, würde ich nicht einmal bis zur Landstraße kommen. Weck mich aber, wenn du mich in der Nacht brauchst.«
    »Das werde ich«, versprach Miene und legte Florin die Verbände so geschickt an, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.

XIV.
     
    Am nächsten Tag hatte Kord Glück, denn er traf Doktor Mütze bereits auf der Landstraße an. Der Arzt hatte Patienten in einem der Nachbardörfer besuchen wollen, fuhr aber nach dem knappen Bericht des alten Knechts sofort zum Jagdhaus. Während Kord zusammen mit dem Kutscher des Arztes die Pferde in den Stall brachte, damit sie nicht dem scharfen Wind ausgesetzt waren, untersuchte Doktor Mütze den Verletzten und zog schließlich die drei Geschosse aus seinem Leib.
    »Da merkt man die Jahre, die ich als Regimentsarzt in Königsberg verbracht habe«, meinte er danach mit zufriedener Miene. Anschließend gab er Florin eine Spritze, so dass der Verletzte noch eine Weile schlief und die Schmerzen nicht so spürte. Nachdem Doktor Mütze seinen Patienten verbunden hatte, wusch er sich die Hände.
    »Jetzt wäre ein starker Kaffee recht. Für einen Grog ist es mir noch zu früh«, sagte er zu Miene.
    »Gerne!« Die alte Magd eilte rasch in die Küche und setzte Wasser auf. Gleichzeitig füllte sie mehrere Löffel Zichorienkaffee in ein Sieb. Erst als sie das Getränk aufbrühte, erinnerte sie sich an das kleine Säckchen mit Kaffeebohnen, das der Arzt beim letzten Besuch mitgebracht hatte. Rasch mahlte sie eine Handvoll davon und gab das Kaffeemehl mit in das Sieb.
    Als Doktor Mütze in die Küche kam, stand bereits eine große Blechtasse mit der dampfenden Flüssigkeit auf dem Tisch. DerArzt trank das eigenartige Gebräu, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann gab er Miene noch eine Reihe Verhaltensmaßregeln und versprach, auf der Rückfahrt noch einmal vorbeizukommen.
    »Florin kann es schaffen«, erklärte er noch. »Die Kugeln sind zum Glück nicht tief genug in seinen Körper eingedrungen, um ihn zu töten. Aber mir bereitet das Aussehen der Kugeln Sorgen. Die Patronen müssen sehr alt gewesen sein. Einesteils war dies Florins Glück, da den Pulverladungen die Kraft fehlte, um durchzuschlagen. Zum anderen aber waren die Kugeln schmutzig, und das kann zu Entzündungen in den Wunden führen. Ich werde auf jeden Fall noch heute jemanden schicken, der euch die nötige Arznei bringt.«
    Dann sah Doktor Mütze die beiden Alten forschend an. »Wisst ihr, wer es gewesen ist?«
    Miene schüttelte den Kopf, zog dabei aber ein so seltsames Gesicht, dass der Arzt misstrauisch wurde. »Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen!«
    Miene zog die Schultern nach vorne und wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. »Nun, Herr Doktor, es ist so … Wissen Sie, ich habe die Nacht über an Florins Bett gewacht. Er ist zwar nicht zu sich

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