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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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versuchte, trotz der Schieflage des Schiffes an die Sitztruhe zu gelangen. Zu ihrem Entsetzen war der Kasten eingedrückt und ganz rot.
    Dann sah sie die Kleine. Nati hing hustend und spuckend in einem Berg roter Farbe und versuchte verzweifelt, sich aus dem aufgeplatzten Kasten zu befreien. Lore stürzte auf sie zu und holte das Kind heraus.
    »Jetzt bist du auch ganz rot«, kommentierte Nati.
    »Komm, schnell! Das Schiff geht unter!«, schrie Lore. »Halt dichan mir fest! Ich kann dich nicht auf den Arm nehmen. Ich glaube, meine Schulter ist ausgerenkt.«
    »War das Ruppert, der Teufel?«, fragte Nati. Dann sah sie Weates auf dem Flur liegen.
    »Du musst ihm die Augen zudrücken! Das gehört sich so«, befahl sie Lore und trippelte selbst weiter auf die Treppe zu.
    »Das ist kein Kind, sondern ein gefühlloses Monster«, dachte Lore und schämte sich im nächsten Moment dafür. Rasch bückte sie sich und erfüllte Natis Wunsch. Dann rannte sie hinter dem Kind her, das auf allen vieren die Treppe hinaufkroch.
    Mehrere Stöße erschütterten jetzt die
Strathclyde
, und mit jedem Schlag kam die Wasseroberfläche ein Stück näher. Schreckensschreie hallten aus dem Wasser herauf. Lore sah unwillkürlich über die Reling und sah gerade noch, wie ein vollbesetztes Rettungsboot von dem rollenden Schiffsrumpf unter Wasser gedrückt wurde.
    »Waren Onkel Thomas und Konrad dort unten?«, fragte Nati entsetzt.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lore. Im selben Moment bekam sie einen Stoß in den Rücken. Ein Matrose packte sie und schob sie auf das zweite Rettungsboot zu, das gerade zu Wasser gelassen wurde. Ein anderer hob sie hoch und warf sie hinein. Nati folgte ihr und landete schmerzhaft auf ihren Rippen. Im nächsten Augenblick klatschte das Boot auf dem Wasser auf, und Lore hielt den Atem an. Würde es jetzt auch in die Tiefe gezogen? Ein Offizier, der breitbeinig über ihr stand, stemmte sich laut fluchend mit einem Ruder gegen den Rumpf, und wie durch ein Wunder glitt das Boot auf der Wasseroberfläche davon.
    In den ersten Minuten wagte Lore nicht, sich zu rühren. Sie umklammerte Nati und starrte die Männer an, die sich wie die Wahnsinnigen in die Riemen warfen. Hinter ihnen erklangen verzweifelte Hilferufe. Dann begann das Boot wild zu tanzen.
    »Jetzt ist sie unten! Gott sei den armen Seelen in ihr gnädig!«, sagte ein Mann in Lores Rücken. Dann bewegte sich etwas unter ihr, und eine halberstickte Männerstimme fragte, ob sie ihm noch ein klein wenig Luft zum Atmen gönnen wolle. Mit einem Schrei fuhr Lore hoch. Es war die Stimme von Onkel Thomas. Sie rutschte zwischen die Füße eines Ruderers, der sie mit einem strafenden Blick bedachte, und drehte sich um. Da lag tatsächlich Thomas Simmern, bleich wie ein Laken, aber wieder recht lebendig. Neben ihm saß Fridolin und versuchte, Konrads klaffende Kopfwunde zu verbinden.
    »Wir haben es geschafft, Lore«, sagte er kläglich grinsend.
    Thomas Simmern nickte. »Das war knapp! Aber so ein Schiffsunglück habe selbst ich noch nicht erlebt, und ich bin doch etliche Jahre zur See gefahren!«
    »Ich habe das Gefühl, dass solche Unfälle eher die Regel als die Ausnahme sind«, wandte Lore mit bleichen Lippen ein. »Zuerst die
Deutschland
und nun die
Strathclyde
. Ich will kein drittes Schiff mehr betreten, sonst geht das auch noch unter!«
    »Du meinst wohl, aller guten Dinge sind drei. Aber das will ich nicht hoffen. Außerdem ist es mir ein wenig zu weit, um zum Kontinent zu schwimmen!« Trotz seiner Worte sah Fridolin ganz so aus, als wenn ihm dies lieber wäre. Auch Thomas Simmern schüttelte sich ein wenig und sah Lore bittend an, dabei ähnelte er einem kleinen Jungen, der etwas ausgefressen hat. »Es tut mir leid, dass Nati und du zusätzlich zu dieser Schiffskollision in eine solch gefährliche Situation durch Ruppert geraten seid. Ich bin wirklich ein Idiot, dass ich mich auf eine so dumme Weise habe über tölpeln lassen.«
    »Ich bin ein noch größerer Idiot, weil ich hinter Ruppert her bin, ohne euch vorher zu warnen. Ich habe euch alle in Gefahr gebracht.« Konrad kamen vor Beschämung beinahe die Tränen.
    Lore versuchte, ihn zu trösten. »Es ist verständlich, dass du herausbringenwolltest, was der Kerl hier macht. Außerdem sind wir durch dein Verschwinden gewarnt worden.«
    »Womit wir wieder bei mir wären«, sagte Thomas Simmern. »Ich hätte den Vorschlag der Stewardess befolgen und den dritten Offizier informieren müssen. So aber bin ich

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