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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sehenden Auges in Rupperts Falle getappt. Wenn er mir jetzt auch noch meine Papiere abgenommen hat, gerate ich vollends in die Bredouille. Nati wird kein Wort mehr mit mir wechseln, wenn das Testament ihres Großvaters verschwunden ist und sie unter die Vormundschaft des Sohnes ihrer Großtante gerät.«
    »O nein!«, kreischte die Kleine auf. »Ich will nicht unter Tante Ermingardes Fuchtel kommen. Ich will bei dir bleiben und bei Lore.«
    Thomas Simmern griff in die Innentasche seiner Jacke, zog ein dickes Bündel hervor und steckte es aufatmend wieder ein. »Es ist noch da! Ruppert hat sich anscheinend nicht vorstellen können, dass ich diese wichtigen Sachen bei mir trage, sonst hätte er mich durchsucht.«
    »Dem Himmel sei Dank!« Lore schlug vor Erleichterung das Kreuz. Das, was Nati und Onkel Thomas ihr über Ermingarde Klampt berichtet hatten, war nicht dazu angetan, ihr die Dame sympathisch zu machen.
    Fridolin hingegen dachte an das Nächstliegende und sah Thomas Simmern fragend an. »Und wie kommen wir jetzt nach Hause?«
    »Mit einem unserer NDL-Dampfer! Der ist sicherer, und ich hatte auch schon mehrere Kabinen für uns reserviert, um Ruppert zu täuschen.«
    Onkel Thomas brachte es so trocken hervor, dass alle lachen mussten. Einige Engländer im Rettungsboot starrten sie zwar pikiert an, doch das tat ihrer Erleichterung keinen Abbruch.

SIEBTER TEIL
Bremen

I.
     
    Als Lore erwachte, schwankte und rollte ihr Bett, und das Licht, das durch die runden, messingumrahmten Bullaugen fiel, wanderte im gleichen Rhythmus über die Bettdecke. Verwirrt krampfte sie ihre Hände in den Seidenbezug und sah sich um. Eben war sie doch noch auf der
Deutschland
gewesen und in Gefahr, mit dem Schiff unterzugehen. Nein, meldete sich ihr Gedächtnis. Die Havarie der
Deutschland
lag schon eine Weile zurück. Onkel Thomas hatte mit der
Strathclyde
übersetzen wollen, doch dieses Schiff war nicht einmal aus dem Hafen gekommen. Ein deutscher Schnelldampfer, die
Franconia
, hatte den Frachter gerammt und versenkt. »Na, endlich wach?«, hörte sie Natis erleichterte Stimme.
    Drei besorgte Gesichter beugten sich über sie, und sie erkannte Nati und Konrad. Das andere, das von einem Schwesternhäubchen gekrönt wurde, war ihr unbekannt. Die Krankenschwester reichte ihr eine Schnabeltasse mit kaltem Kamillentee, einem Getränk, dem Lore noch nie etwas hatte abgewinnen können. Aber sie trank, räusperte sich dann und hob die Hand. »Nein! Nein! Sagt nichts! Ihr habt mich schon wieder auf ein Schiff verschleppt, diesmal auf die
Feldmarschall Moltke!
«
    Konrad kratzte sich an dem Verband, der nur Augen, Nase und Mund frei ließ. An seiner Hand hing noch die grüne Wolle des Fädchenspiels, das er eben mit Nati gespielt hatte. »Woher weißt du das?«
    »Der Name steht auf den Vorhängen«, antwortete Lore bissig.
    Nati, die sich inzwischen die Schuhe ausgezogen hatte, kroch zu ihr unter die Bettdecke. »Das Schiff hier geht bestimmt nicht unter!«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Es ist eines der ganz neuen NDL-Schiffe, und jetzt bist du auch in der erstenKajüte, oberer Salon, untergebracht. Die Kabine ist ganz allein für dich.«
    Lore schnaubte. »Wie tröstlich. Und seid ihr auch sicher, dass hier nicht irgendwo ein anderes Schiff lauert, das in euren neuen Dampfer hineinfahren will?«
    »So einen ausgemachten Esel wie Kapitän Keyn von der
Franconia
gibt es selbst bei der HAPAG-Linie nicht noch einmal«, brummte Konrad. »Steuert der Kerl doch beim Ausweichmanöver nach Steuerbord statt nach Backbord und spießt die arme
Strathclyde
auf. Es ist ein Wunder, dass wir noch leben. Nachdem unser Boot von dem Wrack freikam, ist das alte Mädchen wie ein Stein gesunken. Soweit wir wissen, konnte kein weiteres Boot mehr zu Wasser gelassen werden. Allerdings sollen noch ein paar Überlebende von Fischerbooten und anderen Seglern gerettet worden sein. Nun, sein Versagen wird Kapitän Keyn das Patent und die HAPAG eine saftige Entschädigungssumme kosten, ganz abgesehen von den Schäden an ihrer
Franconia!
Hamburger, sage ich da nur!«, setzte Konrad voll Bremer Lokalpatriotismus hinzu.
    »Ein Wunder war es sicher«, sagte Lore mehr zu sich selbst.
    »Wahrscheinlich sogar mehr als nur eins. Ich glaube, ich schulde der Muttergottes mindestens drei große Kerzen!«
    »Dafür werde ich dir Geld geben, auch wenn ich kein Katholik bin«, versprach Konrad. »Ohne dich läge ich jetzt auch unten in der abgesoffenen
Strathclyde
und

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