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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Fuhrkutscher und mir sofort einen Kinnhaken verpasst. Der Schwinger war jedoch viel zu schwach, um mich ins Reich der Träume zu schicken. Das war wohl auch nicht seine Absicht gewesen. Er wollte mich nur reizen, und das ist ihm bestens gelungen. In meiner Wut bin ich ihm in den Laderaum gefolgt. Dort sind seine beiden Kumpane aufgetaucht, und die haben mich mit einem Belegnagel niedergeschlagen. Ich bin erst wieder wach geworden, als du dich über mich gebeugt hast.«
    »Jetzt komme wohl ich ins Spiel«, setzte Onkel Thomas den Bericht fort. »Ich habe mich genauso an der Nase herumführen lassen wie Konrad. Als ich oben am Laderaum stand, hörte ich plötzlich jemand auf Deutsch um Hilfe rufen. Er sagte, er sei gestürzt und habe sich den Fuß angeknackst. Allein käme er die Treppe nicht hoch. Da er mich ›Käpt’n‹ nannte, war ich mir sicher, dass es Konrad war. Ich rannte sofort hinunter und sah plötzlich Ruppert vor mir, der seine Stimme verstellt hatte, und dann wurde es schwarz um mich. Ich bin erst wieder aufgewacht, als ich ins Rettungsboot geschafft wurde.«
    Thomas Simmern erhielt sein Getränk, trank gierig und nickte zufrieden, als Konrad Lore die Hand reichte.
    »Ich weiß nicht, wie ich dir danken kann!«, sagte der Diener. »Eines aber will ich dir versprechen: Ich werde in Zukunft auf dich aufpassen und dafür Sorge tragen, dass die Dienstboten im Hause Retzmann dir die Achtung zukommen lassen, die dir als unser aller Lebensretterin gebührt.«
    Onkel Thomas lachte. »Lore, ich glaube, du hast einen ergebenen Sklaven gewonnen.«
    »Er soll lieber Marys ergebener Sklave werden«, gab Lore zurück.
    »Wenn er unfreundlich zu ihr ist, werde ich ihn an die
Strathclyde
und an all seine Versprechungen erinnern.«
    »Konrads Angebot, Natis Dienstboten dazu zu bringen, dich zu achten und deinen Anweisungen zu gehorchen, ist nicht zu verachten. Wenn Natis Großtante und ihr Anhang die Leute gegen dich aufhetzen, werden sie dir das Leben zur Hölle machen. Jemand wie Konrad hat mehr Möglichkeiten als ich, das Gesinde zu beeinflussen. Dieses Angebot solltest du auf jeden Fall annehmen! Nun schlaf aber noch ein wenig. Meinst du, du könntest später aufstehen und am Abendessen im Salon teilnehmen? Das Schiff wird zu dem Zeitpunkt schon in der Wesermündung ankern, so dass das Stampfen der Maschinen und die Vibrationen erträglicher sein werden. Morgen werden wir mit dem ersten Tageslicht Bremerhaven anlaufen. Dann bringe ich dich und Nati zum Stadthaus der Retzmanns und lasse Konrad bei euch. Ich selbst muss mich endlich wieder zu Hause sehen lassen, sonst glaubt meine Frau noch, ich hätte sie verlassen.«
    »Deine Frau?« Das Zimmer begann sich um Lore zu drehen, und sie sank wie erschlagen zurück. Thomas Simmern war verheiratet! Für Augenblicke wünschte sie, sie wäre mit der
Strathclyde
untergangen oder besser noch mit der
Deutschland
. Wie sehr hatte sie gehofft, Thomas Simmern würde sie, sobald sie sechzehn war, als erwachsene Frau wahrnehmen und vielleicht sogar heiraten. Nun aber hatten sich all ihre Träume in nichts aufgelöst. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch der Wille, sich nichts anmerken zu lassen, war stärker.
    »Du bist verheiratet? Ja, richtig – du trägst einen Ehering! Seltsam, dass ich nie darauf geachtet habe.« Es gelang ihr sogar, ein wenig zu lachen.
    Thomas Simmern litt zu sehr unter den Folgen seiner Verletzung, um ihre Gefühlsschwankungen zu bemerken, daher verabschiedete ersich etwas kläglich mit dem Hinweis, dass er sich müde fühle. Da die Krankenschwester ihn fürsorglich begleitete, blieb Lore mit Nati und Konrad zurück.
    Konrad beobachtete Lore besorgt, bewunderte aber auch ihre Selbstbeherrschung. Sie hatte sich in seinen Herrn verliebt und würde sicher eine Weile brauchen, bis sie darüber hinwegkam. Doch dieser Schmerz, so nahm er an, würde sie nur stärker machen.
    »Ja, die Gattin des Käpt’n, das ist schon eine patente Frau«, begann er, um zu verhindern, dass Lore Simmerns Ehefrau zu hassen begann. Er kannte die Dame gut und wusste, dass Dorothea Simmern eine ähnlich starke Frau war wie Lore, auch wenn das Außenstehenden meist verborgen blieb.
    Lore wunderte sich über Konrad, der ihr nun beinahe überschwenglich die feine, wenn auch etwas kränkliche Dame beschrieb, die sein Herr geheiratet hatte.
    Auch Nati wusste nur Gutes über Onkel Thomas’ Frau zu berichten und seufzte zuletzt entsagungsvoll. »Ich würde lieber bei Tante Dorothea

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