Dezembersturm
entschuldigte sich bei ihr. Auf Lores unwirschen Ausruf hin zog er einen Sessel heran. »Die Frauen, die ich bisher kennengelernt habe, wollten von den realen Gefahren und Schwierigkeiten des Lebens abgeschirmt und auf Händen getragen werden. Daher habe ich meine Probleme noch nie mit einer Frau geteilt und bin so viel weibliche Tatkraft auch nicht gewohnt.
Ruppert hatte tatsächlich auf diesem Schiff einen Anschlag geplant. Auf meine Anweisungen hin haben unsere NDL-Leute zwei Matrosen, die in Southampton anheuern wollten und die ihnen verdächtig erschienen, der englischen Polizei übergeben. Dabei stellte sich heraus, dass Ruppert bereits einen weiteren Helfershelfer auf dem Schiff hatte, nämlich einen Steward der zweiten Kajüte. Dieser Mann wurde ebenfalls verhaftet und hat gesungen, wie man das bei der Polizei nennt. Seiner Aussage nach war Ruppert ein führendes Mitglied in einer internationalen Verbrecherorganisation, die sich neben Erpressungen im großen Stil auf Waffenschmuggel spezialisiert hat.
Durch die Verbindung seiner Familie zum Norddeutschen Lloyd, zu den Kreisen der Schiffsmakler und den Agenturen für Dienst-personal auf See konnte Ruppert seine Leute an Bord etlicher französischer, englischer und deutscher Ozeandampfer im Liniendienst und auch auf einigen Trampschiffen unterbringen.
Als Stewards hatten seine Banditen viele Möglichkeiten, Dinge über wohlhabende Passagiere zu erfahren, die von Ruppert zu Erpressungen und anderen Verbrechen verwendet werden konnten. Auch ist es in diesen Positionen den Kerlen leichter gefallen als gewöhnlichen Seeleuten, geheime Nachrichten weiterzugeben oder heiße Ware an und von Bord zu schmuggeln. Mit ihrer Hilfeund der einiger unehrlicher Schiffsmakler hat Ruppert im Auftrag englischer und amerikanischer Waffenhändler Gewehre und leichte Kanonen in Krisengebiete in aller Welt schaffen können.«
Thomas Simmern schwieg einen Augenblick, als hätte sein langer Vortrag ihn erschöpft, und wies dann in einer unwillkürlichen Bewegung auf Nati, die wieder eingeschlafen war und wie ein Engel neben Lore schlummerte.
»Auf die Dauer war Ruppert nicht damit zufrieden, nur der Handlanger anderer Schurken zu sein, sondern wollte einen größeren Anteil des Kuchens für sich haben. Dafür aber hätte er viel Geld gebraucht, um sich mehr Einfluss erkaufen zu können. Aus diesem Grund hat er auch Natis Großvater ermordet. So stand zuletzt nur noch Nati seinem Zugriff auf das Retzmann-Vermögen im Weg. Wäre es ihm gelungen, das Kind zu beseitigen, hätte er sich wahrscheinlich innerhalb weniger Jahre zum führenden Waffenlieferanten für Rebellen und Freischärler auf der ganzen Welt aufgeschwungen. Gott sei Dank konnten wir ihn stoppen. Nun ist alles gut, und ich glaube, du solltest jetzt wieder schlafen.«
»Mir ist schlecht«, flüsterte Lore matt.
»Ich hoffe nicht, dass es dir so übel ergeht wie Fridolin! Der hat wirklich keine Seemannsbeine, von einem seefesten Magen ganz zu schweigen!« Konrads Versuch, Lore aufzumuntern, ging völlig daneben, denn sie stand wimmernd auf und verschwand am Arm der Krankenschwester im Bad.
»Ich glaube, wir sollten jetzt gehen, Käpt’n«, schlug Konrad vor.
»Gleich! Ich möchte Lore lieber jetzt sagen, was sie in Bremen erwarten wird. Das ist besser, als wenn sie von der Situation überrascht wird.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen? Sonst wird es ihr nur wieder auf den Magen schlagen.«
Thomas Simmern schüttelte den Kopf und zog ein Gesicht, alskönne er es nicht erwarten, alles loszuwerden, was ihm auf der Seele lag.
Daher wartete auch Konrad, bis Lore aus dem Badezimmer zurückkehrte. Sie war noch immer arg blass, aber ihre Augen glänzten wieder, und nachdem sie aufgestoßen hatte, konnte sie sogar ein wenig lauwarmen Tee trinken. Danach blickte sie gequält zu Thomas Simmern auf. »Aber jetzt gibt es hoffentlich niemanden mehr, der Natis Leben bedroht, oder hat sie noch weitere mörderische Verwandte?«
»Oh, nein!« Onkel Thomas lachte über ihre Befürchtung.
Aber Konrad verzog das Gesicht, und da Thomas Simmern nicht so recht zu wissen schien, wie er anfangen sollte, übernahm er es, Lore zu informieren. »Nati ist die letzte Retzmann, und keiner ihrer noch lebenden Verwandten hat ein begründetes Anrecht auf das Familienerbe. Aber die Herrschaften werden jetzt das tun, was sie zu Lebzeiten des alten Grafen nicht konnten – sie werden sich in der Stadtvilla und auf dem Landgut einnisten, um so viel
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