Dezembersturm
Teils des Retzmannschen Vermögens einen Gatten an Land zu ziehen, hatte Thomas Simmern zumindest vorerst einen Riegel vorgeschoben. Daher war Armgard Klampt beinahe noch mehr als ihre Mutter daran interessiert, die unerwünschte Aufpasserin loszuwerden. Ihren Plänen zufolge sollte Lore zunächst aber der Hebel sein, mit dem sie Thomas Simmern stürzen wollten.
»Denkt doch nur, was das für einen Skandal geben dürfte, wenn die Leute erfahren, dass der von Graf Retzmann eingesetzte Vormund und Vermögensverweser das arme Kind der Obhut einer Diebin anvertraut hat, die ihrem Vormund davongelaufen ist«, trumpfte Armgard auf.
Ihre Mutter nickte und lächelte vergnügt. »Es würde Simmern das Genick brechen. Das vergönne ich seiner impertinenten Frau. Führt die sich doch auf, als wäre sie die tonangebende Dame der Bremer Gesellschaft. Wenn das aufkommt, kann sie sich nirgends mehr sehen lassen.«
Während die beiden Frauen bereits ihren Triumph auskosteten, hob Gerhard Klampt die Hand. »Vielleicht sollten wir versuchen, uns mit Simmern gütlich zu einigen, und darauf verzichten, die Gesellschaft zu informieren, wenn er mir die Vormundschaft über Nathalia und die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen überträgt.«
»Bist du verrückt?«, rief seine Mutter aus. »Wenn wir das tun, werden Simmern und seine Frau immer als Mahner im Hintergrund stehen und darauf achten, wie viel Geld wir dem RetzmannVermögen entziehen. Nein, die beiden müssen ebenso verjagt werden wie ihre Spionin. Nur wenn wir freie Hand haben, können wir Armgard die Mitgift zukommen lassen, die sie benötigt, um einen besseren Herrn für sich zu gewinnen. Außerdem musst du auch an dich denken, Gerhard. Die paar Taler, die dir als Vermögensverwalter zustehen, reichen doch nicht aus, um aus dir einen wohlbestallten Herrn zu machen. Dabei ist das Vermögen dieser kleinen Bestie Nathalia groß genug, dass sie nicht einmal merken würde, wenn die Hälfte davon wegkäme. Unser Herrgott im Himmel hat seine Gaben wirklich ungerecht verteilt. Und jetzt lasst mich allein! Ich habe einen Brief an den Freiherrn Ottokar von Trettin zu schreiben. Halt, Elsie! Du bleibst hier und wirst den Brief anschließend zur Post bringen.«
Sogleich ließ Ermingarde sich von Elsie Papier, Tinte und Schreibfeder bringen und begann, einen Brief aufzusetzen, in dem sie die hiesigen Verhältnisse sowie das, was ihre Tochter über Lore in Erfahrung gebracht hatte, bei weitem übertrieb. Doch um Mäuse zu fangen, brauchte es Speck, und für reiche Leute wie Ottokar von Trettin hieß dieser Speck Geld.
VII.
Ohne zu ahnen, welche Intrigen im Westflügel des Palais gegen sie gesponnen wurden, kehrte Lore in das Schlafzimmer zurück, das sie für die nächste Zeit mit Nati teilen würde. Die Kleine erwartete sie aufrecht sitzend im Bett und grinste.
»Na, hast du Inge Busz kennengelernt? Ich mag sie beinahe ebenso gerne wie Anna, die Köchin. Die steckt mir immer Leckereien zu, wenn sie wieder einmal etwas Besonderes gebacken oder gekocht hat. Mit den beiden wirst du bestimmt gut auskommen. Sie lassen sich von Tante Ermingarde nichts sagen! Wir lassen uns von ihr auch nichts sagen, nicht wahr?«
Damit stürzte Nati Lore in ein Dilemma. Immerhin galt Ermingarde Klampt als die Dame des Hauses, und da war es schwer, ihren Einfluss auf die Erziehung der Kleinen gänzlich beiseitezuschieben. Außerdem wollte sie keinen Dauerkrieg gegen die Frau führen müssen. »Weißt du, was?«, sagte sie daher. »Wir warten erst einmal ab, was Tante Ermingarde zu sagen hat.«
Der Kleinen traten Tränen in die Augen. »Ich wollte, mein Opa wäre noch da! Der würde gut aufpassen, dass dieses olle Weib uns nicht ärgert. Ach, ich vermisse ihn so!«
Lore nahm sie in die Arme und wiegte sie sanft. »Dein Opa istjetzt im Himmel, aber er blickt gewiss auf dich herab, ob es dir gutgeht und du auch brav bist, damit er stolz auf dich sein kann.« »Ich will, dass Opa stolz auf mich ist, und du sollst es auch sein!« Jetzt weinte Nati wirklich, und es dauerte eine Weile, bis Lore das Kind so weit beruhigt hatte, dass es sich wieder in sein Bett kuschelte und die Decke hochzog.
»Gute Nacht, Schätzchen«, sagte sie zu der Kleinen.
»Gute Nacht, Lore!« Es klang bereits sehr müde, trotzdem dauerte es noch einige Minuten, bis Nati endlich eingeschlafen war.
Lore zog die Bettdecke zurecht. Dann stand sie vorsichtig auf, warf sich den dicken Morgenrock über, den Onkel Thomas ihr in Harwich
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