Dezembersturm
den die Mutter in das ehrwürdige Nest derer von Retzmann gelegt hat«, erklärte sie mehr als einmal mit Nachdruck.
Um Lores Lippen spielte ein Lächeln. Thomas Simmern hatte ihr geraten, Rupperts Tod erst einmal für sich zu behalten. Natis Vettersollte so lange als verschollen gelten, bis die englischen Behörden seinen Leichnam geborgen und seinen Tod gemeldet hatten. Ein Zusammenhang zwischen Lore, Simmern und Rupperts Ableben hätte genau den Skandal verursacht, den Onkel Thomas vermeiden wollte.
Daher ging Lore nicht auf das Gerede Ermingardes ein, sondern erklärte freundlich, dass es an der Zeit sei, eine Hauslehrerin für Nati einzustellen.
»Aber selbstverständlich! Ich werde mich sofort darum kümmern«, versprach Ermingarde und dachte für sich, dass sie dafür einen weiblichen Dragoner aussuchen würde, der gleich als Natis Gouvernante fungieren konnte.
»Das ist sehr aufmerksam von Ihnen«, antwortete Lore. »Doch Frau Simmern hat sich bereits angeboten, dafür Sorge zu tragen. Ich wollte Sie nur informieren, dass wir bald ein neues Haushaltsmitglied haben werden.« Damit nickte sie Ermingarde zu und erklärte, sich wieder um Nati kümmern zu müssen.
Während Lore nach oben ging, sah Ermingarde Klampt ihr mit giftigen Blicken nach. »Das hättest du gerne, was? Aber wenn hier eine Lehrerin hereinkommt, dann eine, die ich ausgesucht habe.«
»Was ist, Mama?« Ihre Tochter war den Korridor entlanggekommen und hatte ihre letzten Worte gehört.
Ermingarde Klampt drehte sich verärgert um. »Dorothea Simmern will eine Lehrerin für das kleine Balg einstellen. Dabei ist das mein Recht! Ich bin für die Erziehung des Kindes zuständig, und sonst keiner.«
»Wo bleibt denn nun dieser ostpreußische Krautjunker? Wenn er nicht bald kommt, ersticke ich noch an der Freundlichkeit, die ich Nathalia und dieser impertinenten Lore gegenüber an den Tag legen muss. Wir haben es doch eigentlich gar nicht nötig, diese Diebin wie unsersgleichen zu behandeln!« Armgard warf einen bösen Blick in die Richtung des Hauptflügels.
»Wir tun es, um Simmern und seine Spionin in Sicherheit zu wiegen«, antwortete ihre Mutter mit erzwungener Ruhe. »Die Menschen sollen glauben, wir würden uns Simmerns Diktat unterwerfen! Doch sobald der Skandal da ist, stehen wir vor allen als arme, getäuschte Verwandte da, die, von so viel Ruchlosigkeit entsetzt, die Erziehung unserer lieben kleinen Nathalia in die eigenen Hände nehmen werden. Ich glaube, ein Internat in der Schweiz wäre der geeignete Ort für das kleine Scheusal. Dort wird der Rohrstock ihm schon Manieren beibringen. Wir hingegen können hier behaglich wohnen und den Lebensstil pflegen, der uns angemessen ist.« Ermingarde wollte ihrer Tochter noch ein paar Verhaltensmaßregeln geben, doch da wurde draußen der Klingelzug betätigt.
»Das wird bloß wieder diese olle Simmern sein!«, rief Armgard und machte, dass sie fortkam. Ihre Mutter hingegen lenkte ihre Schritte zur Treppe und blickte von oben in die Eingangshalle hinab.
Einer der Diener hatte eben geöffnet und ließ einen gutaussehenden jungen Mann ein. »Guten Tag, wen darf ich den Herrschaften melden?«, fragte er dabei.
Zu Ermingardes Leidwesen nannte der Besucher seinen Namen nicht, sondern reichte dem Diener seine Karte. »Melden Sie mich Fräulein Huppach!«
»Sehr wohl, Herr Baron.«
Fridolin hätte dem Mann erklären können, dass seine Familie auf der Bezeichnung Freiherr und Freifrau beharrte und das moderne Baron und Baronin ablehnte. Er beließ den Mann jedoch in seinem Irrtum und lockte damit, ohne es zu wissen, Ermingarde auf eine falsche Spur. Diese maß den Besucher mit abschätzigem Blick und fand, dass er zwar modisch, aber nicht übermäßig teuer gekleidet war, und tat ihn mit einem Achselzucken ab. Dies hinderte sie jedoch nicht, nach unten zu gehen und zu warten, bis der Diener zurückgekommen war.
»Wer war das?«, fragte sie, kaum dass dieser um die Ecke bog.
Der gute Mann war von Konrad eingehend instruiert worden und dachte deswegen nicht daran, ihr eine richtige Antwort zu geben.
»Ein Bekannter von Herrn Simmern. Wie ich hörte, wohnt er derzeit bei diesem!« Er log nicht, führte aber Ermingarde weiter auf die falsche Spur.
»Wie es aussieht, ist der Herr Baron in arg verbesserungswürdigen Umständen. Wahrscheinlich lockt ihn das Geld, das Lore von ihrem Großvater erhalten hat«, höhnte sie.
Der Diener zog die Augenbrauen hoch. »Die junge Dame besitzt ein Erbe?
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