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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hat ihn hoch in der Schulter getroffen – und das war keine schlimme Verletzung! Er hat schon am Tag darauf seine Frau in die Oper begleiten können.«
    »Ging es um diese Frau?«, fragte Lore, obwohl sie wusste, dass schon ihr Interesse für diese Dinge ungehörig war.
    »Um Gottes willen, nein!« Fridolin riss erschrocken die Arme hoch. »Der Mann war betrunken und ist ausfällig geworden. Dann gab ein Wort das andere, und schließlich kam es zum Duell. Ich glaube, er hatte noch mehr Angst davor als ich.«
    Fridolin brachte das so drollig hervor, dass Lore lachen musste.
    »Bei der Heiligen Jungfrau, da hätte ich dabei sein mögen.«
    »Lieber nicht! Das ist kein Anblick für eine Frau.« Fridolin musste unwillkürlich daran denken, wie er mit seinem Duellgegner in Hede Pfefferkorns »Le Plaisir« aneinandergeraten war. Der Adelige hatte sich eines der Mädchen ausgesucht, war aber zu betrunken gewesen, seinen Mann zu stehen. Statt das einzusehen, hatte er der Frau die Schuld dafür gegeben und sie aus dem Zimmer geohrfeigt. Draußen hatte Fridolin Schlimmeres verhindert, und nach einem Austausch von Beleidigungen war es zu jenem Duell gekommen. Doch das war keine Geschichte, die er Lore erzählen durfte, und er war daher erleichtert, als sie das Thema wechselte.
    »Was wirst du jetzt tun? Kehrst du nach Berlin zurück?«
    »Wahrscheinlich«, antwortete Fridolin, denn er wusste selbst, dass es nur dort genügend Narren gab, die bereit waren, sich von ihm die Attraktionen der nächtlichen Stadt zeigen zu lassen.
    Lore seufzte. »Eigentlich schade! Ich wünschte, du könntest hierbleiben.«
    »Das würde ich nur allzu gerne, aber dann müsste ich eine Arbeit annehmen, die es mir unmöglich machen würde, die Freiherrenkrone auf meine Visitenkarte drucken zu lassen. Niemand stellteinen Handelskommis oder Bürogehilfen an, der dem Adel angehört, und eine Stellung, die es mir erlauben würde, meinen Titel weiterhin zu führen, gibt mir so leicht keiner.«
    »Und warum legst du dann deinen Freiherrentitel nicht ab, wenn er dir so hinderlich ist?«, fragte Lore.
    »Er ist der einzige Besitz, den ich vorweisen kann. Das Leben eines kleinen Angestellten zu führen, der von seinem Dödel von Vorgesetzten jederzeit geschurigelt werden kann, ist nicht gerade erstrebenswert. Früher habe ich mir immer gesagt, ich warte, bis ich volljährig bin, und heirate dann die fette Erbtochter eines Emporkömmlings, der sich freut, seine Enkel als Freiherren und Freiinnen von Trettin aufwachsen zu sehen. Vielleicht mache ich es tatsächlich!«
    »Ich wünsche dir Glück!« Lore verschränkte die Hände ineinander und sah ihn dann fragend an. »Warum bist du mir eigentlich bis England nachgereist?«
    »Ich habe Angst um dich gehabt! Was meinst du, was das für ein Gefühl war, als ich lesen musste, dass das Schiff, mit dem du gefahren bist, in der Themsemündung untergegangen seiff Ich konnte nur hoffen, dass du überlebt hattest, und wollte dir helfen, für den Fall, dass du mittellos geworden warst.«
    Lore wusste, wie wenig Geld Fridolin besaß, und sah ihn gerührt an. »Du bist ein Schatz!«
    »Um an das Reisegeld zu kommen, habe ich das erste Mal in meinem Leben absichtlich beim Spiel betrogen. Ich habe natürlich keinen Armen ausgenommen, sondern einen von diesen Neureichen, die glauben, mit ihrem Geld könnten sie die ganze Welt kaufen. Außerdem war die Summe nicht einmal so groß wie die, die er in Feierlaune an einem Abend verschwendet. Das Geld sollte notfalls reichen, um mit dir nach Amerika zu fahren und dort ein neues Leben beginnen zu können. Aber nun ist mir gerade noch so viel geblieben, dass ich meine Zimmerwirtin bezahlen, meine restlichenHabseligkeiten auslösen und mir eine neue Unterkunft suchen kann.«
    »Du wärst mit mir nach Amerika gefahren?« Lore musste schlucken, und während sie Fridolin musterte, begriff sie, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Dabei ging ihr auf, dass sie beide in Amerika hätten heiraten müssen. Vor ihrer Abreise aus Ostpreußen wäre ihr dieser Gedanke seltsam erschienen, aber nun sah sie Fridolin in einem neuen Licht. Er mochte leichtsinnig sein und seine Fehler haben, doch er war bereit, sich für andere einzusetzen. Außerdem schien er sie zu mögen, sonst hätte er keinen solchen Entschluss gefasst. Lore dachte an Thomas Simmern, dem ihre erste, erwachende Liebe gegolten hatte und der für sie unerreichbar war. Sie litt immer noch ein wenig an dieser Enttäuschung, und da war es

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