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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Näherinnen kicherten, weil ihnen die Summe zu gering gewesen wäre, doch in Lores Ohren hörte sich ein Taler nach sehr viel an. »Liebend gerne, Madame.«
    Froh, eine Spitzenkraft zu so einem geringen Preis angeworben zu haben, wies die Geschäftsinhaberin Luise an, einige weniger dringende Sachen einzupacken und Lore mitzugeben. Danach fordertesie Lore auf, ihr Namen und Adresse zu nennen, und schickte sie dann fort, ohne ihr auch nur ein Glas Wasser angeboten zu haben.
    Lore löschte ihren Durst am Marktbrunnen und sah sich dann nach einer Mitfahrgelegenheit um. Der Mann, der sie auf dem Herweg mitgenommen hatte, wandte ihr, als sie an ihm vorbeiging, den Rücken zu. Dafür winkte ein früherer Nachbar ihres Großvaters sie zu sich und bot ihr einen Platz in seinem Landauer an. Froh, dass sie auf diese Weise bis über Bladiau hinaus würde mitfahren können, stieg Lore auf und barg das große Paket, das Madame de Lepin ihr mitgegeben hatte, auf dem Schoß.
    »Wie geht es denn deinem Großvater?«, fragte ihr Begleiter, nachdem er die Pferde angetrieben hatte.
    »Den Umständen entsprechend gut, sagt Doktor Mütze«, antwortete Lore und war froh, dass der Mann lieber sich selbst reden hörte.
    »Das war eine hässliche Angelegenheit, wie dieser Hundsfott Ottokar deinem Großvater das Gut abgeluchst hat. Ich sage, es gibt keinen Glauben und keine Gerechtigkeit mehr unter den Menschen! In meiner Jugend, da galt ein Handschlag mehr als unterschriebene Papiere, und wenn so ein Kerl wie Ottokar es gewagt hätte, die Hand nach dem Gut seines Onkels auszustrecken, hätte dieser ihn mit der Reitpeitsche vom Hof gejagt. Aber aus den heutigen Gesetzen weiß jeder Rechtsverdreher seinen Vorteil zu ziehen, und ein ehrlicher Mann muss sich jedes Wort überlegen, das er ausspricht. Dieser elende Köter Ottokar hat es doch tatsächlich gewagt, mir mit dem Gericht zu drohen, wenn ich weiterhin erklären würde, er habe deinem Großvater das Gut zu Unrecht abgenommen. So einem Kerl sollte man eigentlich mit Ohrfeigen heimleuchten. Aber diese studierten Assessoren, Professoren und Amtsdirektoren im Land legen einem sofort den Strick um den Hals, wenn man auch nur einen Mucks wagt. Früher war das ganz anders, sage ich dir …«
    Lore war schließlich froh, als ihr Begleiter die Abzweigung zu seinem Gutshof erreichte, denn er hatte den ganzen Weg über die heutigen Verhältnisse geklagt und die Zeiten zurückgewünscht, in denen man einem unliebsamen Mitmenschen noch eins mit der Peitsche hatte überziehen können, ohne dass der es gewagt hätte, zum Amtsrichter zu laufen.
    »Herzlichen Dank fürs Mitnehmen, Graf Elchberg!«, sagte Lore, als der Mann ihr Madame de Lepins Paket herunterreichte.
    »Richte deinem Großvater einen schönen Gruß von mir aus!«, rief er ihr noch zu und trieb seine Pferde an.
    Lore rief ihm nach, dass sie dies tun würde, und sah sich dann um, ob kein anderes Gefährt in ihre Richtung unterwegs war. Vor ihr lag noch gut ein Drittel des Weges, und da niemand kam, schritt sie kräftig aus. Sie war dem Klang einer Kirchturmuhr nach zu urteilen gerade mal eine Viertelstunde unterwegs, da schloss sie zu einem älteren, in eine schwarze Soutane gekleideten Mann auf, der immer wieder stehen blieb und den Waldessaum musterte, als suche er nach einer Abzweigung. Schließlich bemerkte er sie, drehte sich zu ihr um, nahm die Brille ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Du bist wohl aus der Gegend, mein Kind?«, fragte er und blinzelte sie aus kurzsichtigen Augen an.
    »Das bin ich!«, antwortete Lore.
    »Dann kannst du mir gewiss den Weg zum Herrn von Trettin weisen.«
    »Das Gut ist nicht zu verfehlen. Sie müssen nur diese Straße weitergehen und beim Dorf nach links abbiegen«, antwortete Lore schroffer als beabsichtigt.
    »Ich will nicht zum Gut, sondern zum Freiherrn Wolfhard von Trettin, der in der Försterei leben soll.«
    Lore starrte den Mann überrascht an. Es handelte sich unzweifelhaft um einen katholischen Geistlichen, und sie fragte sich, was soeiner von ihrem Großvater wollte. Sie besann sich jedoch rasch genug auf die gebotene Höflichkeit. »Herr Wolfhard von Trettin ist mein Großvater. Aber es ist noch ein hübsches Stück Weg dorthin.«
    Der Priester setzte seine Brille wieder auf und sah sie mit einem verständnisvollen Lächeln an. »Ich bin das Gehen gewöhnt, mein Kind, denn in diesem Land hält selten jemand an, um einen Mann meiner Profession mitzunehmen.«
    Damit hat er wohl

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