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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Lore unsicher werden. »Aber wenn sie uns hier in Bremen erwarten, werden sie gewiss böse sein, weil sie uns hier nicht antreffen.«
    »Gustav kann den Wirt ja bitten, den Nonnen Bescheid zu geben«, drängte Elsie.
    Jetzt mischte sich auch Gustav ins Gespräch. »Wenn wir zusammen fahren, kümmere ich mich um euer Gepäck. Die frommen Frauen haben bestimmt keine Dienstboten bei sich, die das für euch erledigen können.«
    Dieses Argument ließ Lore nachgeben. »Also gut! Reisen wir weiter. Wahrscheinlich ist es besser so.«
    Elsie und Gustav wechselten einen kurzen Blick miteinander, dann fasste das Dienstmädchen Lore bei der Hand und zog sie hinter sich her.

XI.
     
    Sie fuhren noch am gleichen Tag mit der neuerbauten Geestebahn nach Bremerhaven, übernachteten dort in einem gediegenen Gasthof und fanden sich am nächsten Tag schon ganz früh in der weißen, lichtdurchfluteten Wartehalle des Norddeutschen Lloyd ein. Von dort starrten sie auf den schwarzen Rumpf des Dampfers, der an der Pier lag und das nicht gerade kleine Gebäude sowohl in der Länge wie auch in der Höhe überragte.
    Laut der Reiseinformation, die jeder Passagier erster Kajüte ausgehändigt bekam, war das Schiff über einhundert Meter lang und mehr als zwölf Meter breit. Einem Mädchen vom Land, das nur die kleinen Frachtsegler kannte, die auf den Flüssen und dem Haff verkehrten, konnte der Anblick durchaus den Atem verschlagen. Lore starrte fasziniert auf den Ozeanriesen und sagte sich, dass Elsies Erzählungen nur dem Reich der Phantasie entsprungen sein konnten. So ein gewaltiges Gebilde trotzte gewiss jedemSturm. Für den Fall, dass dem Schiff die Kohle ausging, besaß es noch zwei Masten, die höher waren als die Kirchtürme ihrer Heimat und an denen viele Segel Platz hatten. Die vier weißen Rettungsboote, die hintereinander hoch über der Reling hingen, wirkten jedoch wie Spielzeuge, die einen hübschen Kontrast zu dem dunklen Kamin in der Mitte und den ebenfalls dunklen Masten bildeten.
    Lore war so in die Betrachtung des Schiffes versunken, dass Elsie sie anstupsen musste, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Fräulein Lore, würde ich gerne nachsehen, ob Gustav auch alles richtig macht. Er gibt gerade das Gepäck auf, und Sie wissen ja, wie Männer so sind. Nicht dass er die Koffer mit den Kleidern bei der Seekiste im Laderaum des Dampfers verstauen lässt und wir sie erst bei unserer Ankunft in New York wiederbekommen.«
    Elsie war so zappelig, dass Lore froh war, sie für eine Weile loszuwerden. »Ja, kümmere dich um das Gepäck! Da du mit deiner früheren Herrin einige Schiffsreisen unternommen hast, weißt du sicher besser als Gustav, was zu tun ist. Im Grunde ist der Mann doch nur ein besserer Fuhrknecht.«
    Lore wusste selbst nicht, weshalb sie so schnippisch reagierte, doch sie hatte sich unterwegs zu oft über diesen Mann geärgert. Da sie sogleich wieder zum Dampfer hinüberschaute, bemerkte sie nicht, wie Elsies Gesicht erst zornig auff ammte und dann einen höhnischen Zug annahm.
    Während das Dienstmädchen aus der Halle lief, richtete Lore ihre Aufmerksamkeit auf die Menschen, die immer zahlreicher herbeiströmten. Viele waren schlicht gekleidet und trugen Stofftaschen oder auch nur mit Packpapier umwickelte Pakete bei sich. Uniformierte Aufseher scheuchten diese Leute in den hinteren Bereich der Halle, in dem es nur schmale Holzbänke gab, während Lore auf einem richtigen Stuhl sitzen durfte. Ein Stück weiter befandsich ein mit gepolsterten Sesseln ausgestatteter Bereich, in dem die Passagiere der ersten Klasse darauf warten konnten, bis sie an Bord gehen durften. Aber dort herrschte gähnende Leere. Die hohen Herrschaften hielten sich anscheinend noch in ihren Hotels auf und würden erst erscheinen, wenn der Kapitän den Zutritt zum Schiff freigab.
    Wann dies der Fall sein würde, wusste Lore nicht. Sie hoffte nur, dass es nicht mehr lange dauern würde, denn sie sehnte sich nach einem Ort, an dem sie allein sein konnte. Der Gedanke, mit Elsie die Kabine teilen und während der Überfahrt nur über den in ihren Augen höchst unwahrscheinlichen Untergang des Schiffes reden zu können, entlockte ihr einen tiefen Seufzer.
    Als sie zufällig auf die große Uhr an der Stirnwand der Halle blickte, stellte sie fest, dass Elsie schon über eine Stunde weg war. Sie wollte schon aufstehen, um nach ihr zu suchen, da kam das Dienstmädchen auf sie zu und blieb abgehetzt vor ihr stehen.

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