Dezembersturm
hatte.
»Es ist vorbei! Unser Herr ist nun in einer besseren Welt«, sagte sie zu Kord und drückte das offene Auge des Toten zu.
Kord starrte auf den Toten hinab, als könne er nicht begreifen, dass dieser von einer Sekunde auf die andere gestorben war. Ihm gellte noch immer das Gelächter in den Ohren, mit dem Lores Großvater den Sieg über seinen Neffen Ottokar bejubelt hatte. Erst nach einer Weile wagte er, sich zu rühren. »Schade, dass der Doktor heute schon da war. Jetzt muss ich in die Stadt laufen, um ihm den Tod unseres Herrn zu melden. Was meinst du, soll ich unterwegs beim Gut vorbeigehen und Ottokar und dann im Dorf dem Pastor Bescheid geben?«
»Nein, das wirst du nicht tun! Unser Herr wollte weder den einen noch den anderen an seiner Bahre sehen. Ottokar ist schuld, dassFräulein Leonore, ihr Mann und die übrigen Kinder im Feuer umgekommen sind. Das Haus hat bereits lichterloh gebrannt, als Ottokars Kutsche vorbeifuhr. Es ist komisch, weißt du? Ich habe es bis jetzt niemandem erzählt außer jetzt dir, aber es sah so aus, als würde die Kutsche gerade anfahren. Also muss sie dort angehalten haben. In der Aufregung habe ich mir zuerst nichts dabei gedacht …«
»Aber dann …« Kord erschrak selbst über den Gedanken, der in seinem Kopf echote. Von Miene und anderen Zeugen wusste er, dass der Brand in der kleinen Scheune ausgebrochen war und auf das Haupthaus übergegriffen hatte. Das Heu in der Scheune war jedoch gut getrocknet gewesen und hätte sich kaum von selbst entzünden können.
»Ich denke dasselbe wie du, und er hat es auch geglaubt«, flüsterte Miene mit einem scheuen Seitenblick auf den Toten.
»Das glaube ich nicht. Sonst hätte er alles getan, um sich an Ottokar von Trettin zu rächen, und wenn er diesen zu sich gerufen und mit der Flinte erschossen hätte.«
»Lore hätte ihm die Waffe nie in die Hand gegeben«, wandte Miene ein.
»Da hast du recht. Da müsste doch der Herrgott mit gepanzerter Faust dreinschlagen!« Kords Schultern zuckten, denn er vergaß nicht, wer sie waren und wer der Herr auf Trettin.
»Kein Wort darüber, zu niemandem! Dem alten Herrn hilft es nicht mehr, und Lore ist weit weg. Beten wir heimlich darum, dass unser Herrgott den Sünder bestrafen wird.« Der alte Knecht schüttelte sich, stand auf und begann sich für den langen Weg nach Heiligenbeil anzuziehen.
»Kannst du unseren Herrn allein zurechtmachen, oder soll ich dir jemand aus dem Dorf schicken?«, fragte er, als er zur Tür ging.
Miene schüttelte den Kopf. »Das schaffe ich allein. Wenn du zu jemandem im Dorf etwas sagst, erfahren es auch andere, und dietragen es dann zum Gut weiter. Ich glaube nicht, dass es dem Herrn gefallen würde, wenn Ottokar auftaucht, während er noch hier liegt.«
Das sah Kord ein. Er verabschiedete sich von Miene und ging dann mit langen Schritten den Forstweg entlang. Einige Augenblicke lang starrte die alte Frau ihm nach, dann machte sie sich daran, den Toten zu waschen und neu einzukleiden.
XV.
Kord erreichte die Hauptstraße bei leichtem Schneefall und wandte sich Richtung Heiligenbeil. Unterwegs überholte ihn ein Fuhrwerk aus Trettin. Den Knecht, der die Pferde lenkte, hatte er selbst angelernt und ihn immer unterstützt. Doch nun fuhr dieser flott an ihm vorbei, ohne ihm auch nur einen Blick zu schenken.
»Lümmel!«, entfuhr es Kord. Dann aber sagte er sich, dass der Kerl den Atem nicht wert war, den er an ihn verschwendete, und stapfte weiter. Nach einiger Zeit bog von Elchberg her ein Gespann auf die Landstraße ein. Der Kutscher entdeckte Kord und hielt seine Pferde an, bis dieser zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Na, willst du mitfahren?«, fragte er.
»Danke, Henner!« Kord kletterte schwerfällig auf den Wagen und ließ sich neben dem Fuhrmann nieder. Ihm war nicht zum Reden zumute, aber da Elchberg in direkter Nachbarschaft zu Trettin lag, wollte er sich nicht anmerken lassen, was ihn bedrückte, und beantwortete die Fragen des Kutschers. Zu seiner Erleichterung drehten sich diese meist um den neuen Gutsherrn auf Trettin und dessen Frau. Der Lenker des Gespanns war derselbe Knecht, der Lore vor einigen Monaten in die Stadt gebracht und dabei vonOttokar und dessen Frau geschwärmt hatte. Inzwischen äußerte er sich um einiges kritischer, denn unter den Knechten und Mägden der Umgebung war bekanntgeworden, wie schlecht die neue Herrschaft auf Trettin den Teil ihres Gesindes behandelte, der nicht vor ihnen kroch und ihnen ständig
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