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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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den winzigen, durch das Fenster über der Tür nur spärlich erhellten Raum, der ihr nach dem durchlebten Alptraum trotz seiner kargen Einrichtung beinahe heimelig erschien.
    Die Stimme draußen klang ungeduldig. Dann öffnete sich die Tür, und ein Mann kam herein. Lore erschrak und zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch.
    »He, ist hier denn niemand?«, fragte der Eindringling.
    Lore erkannte den redseligen Steward vom Vorabend, und mit einem Schlag kam ihr das ganze Elend wieder zu Bewusstsein. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten und die Wangen hinunterliefen.
    »Doch, ich!«, antwortete sie mit dünner Stimme und richtete sich auf.
    Der Steward warf einen schnellen Blick auf das unberührte zweite Bett und sah sie fragend an. »Guten Morgen, Fräulein. Es ist Zeit zum Frühstücken! Ich habe Sie gestern Abend beim Abendessen vermisst. Sagen Sie, wo ist denn Ihre Zofe? Hat sie heute Nacht nicht hier geschlafen?«
    Lore schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sie … Elsie ist weg! Sie hat mich ganz allein zurückgelassen und ist mit Gustav zusammen auf einem Pferdefuhrwerk weggefahren! Ich … ich möchte nach Hause! Ich habe so große Angst vor Amerika!«
    »Wer ist Gustav?«, fragte der Steward verblüfft. Dann zündete er die Gaslampe an, die an der Wand über dem kleinen Nachttisch befestigt war, nahm Lores Hand und bat sie, ihm alles zu erzählen.
    Und das tat sie. In wenigen Minuten schüttete sie dem ihr völlig unbekannten Menschen ihr Herz aus und berichtete ihm alles, angefangen von dem Unglück, bei dem sie ihre Eltern verloren hatte, bis zu dem Augenblick, in dem sie gesehen hatte, wie Elsie mit dem Handlungsgehilfen Gustav und dem größten Teil ihres gemeinsamen Gepäcks auf einem alten Fuhrwerk Richtung Stadt fuhr.
    »Der Dampfer hatte bereits abgelegt, und so konnte ich nur noch hinter ihnen herschauen. Jetzt bin ich mutterseelenallein«, setzte sie unter Tränen hinzu. Die Tatsache, dass sie und Elsie sich in dieObhut der frommen Schwestern hätten begeben sollen, hatte sie in diesem Augenblick völlig vergessen.
    »So etwas aber auch. Das tut mir sehr leid für Sie!«
    Trotz seines mitfühlenden Tons spürte Lore, dass er in ihr weniger eine hilfsbedürftige Person als vielmehr ein unangenehmes Problem sah, mit dem er sich herumschlagen musste. Dennoch blieb er freundlich und lächelte ihr aufmunternd zu. »Wissen Sie, was? Sie stehen jetzt auf und machen sich frisch. Dann kommen Sie in den unteren Salon und frühstücken erst einmal. Wenn der Magen gefüllt ist, sieht die Sache nicht mehr ganz so schlimm aus, wie es auf den ersten Blick erscheint. Sobald der Kapitän Zeit hat, sage ich ihm Bescheid. Er wird dann schon wissen, was zu tun ist. Ihr Großvater wollte, dass Sie nach Amerika fahren, und dahin sind wir unterwegs. Ihre Fahrkarte und Papiere haben Sie, und alles Weitere wird sich schon finden!«
    Lore nickte und bedankte sich artig, atmete aber auf, als sie wieder allein war. Da sie trotz des ungewohnten Schaukelns und Stampfens um sich herum Hunger verspürte, folgte sie dem Rat des Stewards, wusch sich mit dem Rest des Wassers aus dem Krug und zog sich an. Als sie die Stimme des kleinen Mädchens, dem sie am Abend zuvor begegnet war, draußen auf dem Gang vernahm, konnte sie sogar wieder lächeln. Wie es aussah, gab es doch noch einen Menschen, der sich für sie interessierte. Sie zupfte ihren Rock zurecht, legte das warme Schultertuch um, das ihr geblieben war, und verließ die Kabine.
    Nathalia flog ihr um den Hals. »Ach Lore, da bist du ja endlich! Ich langweile mich so! Mein Großvater ist heute furchtbar schlechter Laune und schnauzt mich nur an, und sonst habe ich keinen Menschen, der sich um mich kümmert. Du musst jetzt mit mir kommen und mit mir spielen!«
    Da Lore wahrlich nicht danach zumute war, mit einem kleinen Mädchen zu spielen, wollte sie sogleich ablehnen. Aber als sie indas zarte, kleine Gesicht mit leicht zitternden Lippen blickte, auf denen ein gleichzeitig bittendes und schmeichelndes Lächeln stand, traf es sie wie ein Schlag.
    Es war, als sähe sie ihre kleine Schwester Ännchen vor sich, die ebenso gelächelt hatte. Dazu kam, dass die langen, blonden Locken dem Kind das Aussehen eines Rauschgoldengels gaben. Große, himmelblaue Augen schenkten Lore Blicke, denen sie nicht widerstehen konnte. Wenn sie dieses entzückende Geschöpf zurückwies, würde sie sich ganz schlecht fühlen und sich nur noch in ihrer Kabine verkriechen und

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