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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zu Besuch war, und bin nach dem Unglück bei ihm geblieben, bis er mich weggeschickt hat.«
    »Hat er die Passage bezahlt? Dann ist er ein sehr netter Mann. Im Zwischendeck ist es nämlich furchtbar. Da schlafen alle in einem Saal, und es gibt fast kein Licht. Und riechen tut es da – ganzschlimm. Weißt du, ich habe mich schon mal dort hinuntergeschlichen und hineingesehen! Mein Opa darf das aber nicht wissen. Er schimpft immer und poltert sofort los, wenn ihm etwas nicht passt. Die Bediensteten haben deswegen Angst vor ihm, aber ich nicht. Ich habe nie Angst! Du musst auch keine haben. Mit einem Schiff fahren ist wunderschön, wenn man nicht gerade untergeht. So, das hier muss deine Kabine sein! Wenn du zum Essen in den Salon gehst, solltest du aber diesen scheußlichen Mantel ausziehen, sonst meinen die Leute wirklich, du gehörst zu den armen Emigranten da unten!«
    Lore senkte betroffen den Kopf. Im Grunde war sie nun genauso arm wie die Auswanderer im Zwischendeck, denn außer dem hässlichen Mantel, der Kleidung, die sie darunter trug, und ein paar Sachen zum Wechseln besaß sie nur noch die Münzen, die ihr Großvater ihr zuletzt noch zugesteckt hatte. Das Geld für die Reise und die ersten Jahre in Amerika hatte Elsie bei sich getragen, und die war damit verschwunden.
    Als sie vor ihrer Kajüte angekommen waren, strich Lore dem vorwitzigen kleinen Mädchen über das blonde Haar und bedankte sich bei ihm. Doch so leicht wurde sie Nathalia nicht los.
    »Morgen nach dem Frühstück kommst du zur Tür des oberen Salons erster Kajüte. Dann werde ich dir das Schiff zeigen. Wir können uns sogar die Brücke ansehen und mit dem Kapitän sprechen. Mein Großvater ist nämlich einer der Aktionäre der Reederei, musst du wissen. Daher traut sich hier niemand, mir etwas zu verbieten.«
    »Ich werde kommen«, versprach Lore in dem Glauben, die Kleine würde sie spätestens, wenn sie wieder zu ihren eigenen Leuten zurückgekehrt war, vergessen haben.
    Nathalia nickte zufrieden, winkte ihr noch einmal zu und lief dann so schnell weg, als habe sie jemand gerufen. Da sich in dem Moment einige Türen öffneten und mehrere Passagiere gleichzeitigauf den Gang hinaustraten, schloss Lore rasch die Tür und zog sich in ihre Kabine zurück wie eine Schnecke in ihr Haus.
    Zu ihrer Erleichterung kümmerte sich niemand um sie. Daher konnte sie sich ins Bett verkriechen und sich ungehemmt ihrem Kummer hingeben. Zwischendurch knabberte sie an einem vertrockneten Stück Streuselkuchen, dem kargen Rest des Reiseproviants, den Elsie von daheim mitgenommen hatte, und trank einen Schluck von dem Wasser, das eigentlich zum Waschen bestimmt war.
    Nach einer Weile wurde sie müde und zog Rock und Bluse aus, um sich zu waschen. Als sie ihr Nachthemd überstreifte, erinnerte sie sich an die frommen Schwestern, in deren Obhut sie sich eigentlich schon befinden sollte. Am nächsten Tag würde sie nach ihnen suchen und sich ihnen vorstellen. Sie hatte zwar Angst davor, ihr völlig unbekannte Leute anzusprechen, doch ihr würde nichts anderes übrigbleiben. Da Elsie sie bestohlen und im Stich gelassen hatte, war sie von nun an auf die barmherzige Hilfe fremder Menschen angewiesen. So wie sie musste sich ein kleiner Hund fühlen, der von seinem Besitzer ausgesetzt worden war, dachte sie, und ihr kamen erneut die Tränen.
    In diesem Augenblick hätte Lore selbst ein Dienstbotendasein auf Gut Trettin der jetzigen Situation vorgezogen. Doch da die
Deutschland
bereits abgelegt und Fahrt aufgenommen hatte, war ihr der Weg zurück versperrt. Noch während sie sich ausmalte, welche Schrecken in Amerika auf sie warten würden, überwältigte sie die Müdigkeit, und sie schlief ein.

XIII.
     
    Nach Lores Abreise hatte Wolfhard von Trettin sich noch eine Weile mit seinem Freund Doktor Mütze gestritten. Der Arzt versuchte immer noch, ihm vor Augen zu führen, wie hirnrissig seine Pläne seien, und bot sich sogar an, dem Frachtwagen nachzufahren und das Mädchen und Elsie zurückzuholen.
    Der alte Trettin musterte ihn mit einem spöttischen Blick. »Warum solltest du das tun? Dann hätte ich Lore gleich diesen Hyänen auf dem Gut überlassen können. Nein, mein Guter, meine Enkelin wird so, wie ich es beschlossen habe, nach Amerika reisen. Nur dort ist sie vor Ottokar und seiner Weibskreatur sicher.«
    »Auf dem Gut hätte Lore zwar kein leichtes Leben, aber in Amerika kann sie zugrunde gehen«, wandte Doktor Mütze ein.
    »Ich mag zwar hier herumliegen wie

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