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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Vetter«, spottete Fridolin.
    »Für einen Lumpenhund wie dich reicht es allemal. Übrigens, wo habt ihr Leonores Balg versteckt? Ich bin ihr Vormund und werde euch vor Gericht zerren, wenn ihr sie mir nicht schnellstens übergebt.« Ottokar packte Fridolin an der Brust und wollte ihn schütteln, doch der Jüngere wehrte seinen Griff mit Leichtigkeit ab.
    Wütend riss der Gutsherr den Stock hoch, um auch Fridolin wie einen Knecht zu züchtigen.
    Der aber entwand ihm den Stock mit einer fast beiläufigen Bewegung und zerbrach ihn über seinem Knie.
    Nun begann Ottokar von Trettin zu brüllen. »Du elender Schurke, das hast du nicht umsonst getan! Los, packt ihn und versetzt ihm eine Tracht Prügel, die ihn bis ans Ende seines Lebens daran erinnern soll, dass er hier bei uns nichts zu suchen hat!«
    Florin trat zurück und hob abwehrend die Hände, aber die Knechte blickten einander grinsend an und kamen breitbeinig auf Fridolinzu. Man konnte Ottokar die Vorfreude auf die Abreibung ansehen, die sein Vetter nun erhalten würde, und er rieb sich die Hände. Sein Grinsen erlosch jedoch, als Fridolin unter seinen Mantel griff und eine kleine zweiläufige Pistole zum Vorschein brachte, eine sogenannte Taschenpistole, die sich bequem in einer Jackentasche unterbringen ließ.
    »Es ist doch gut, wenn man sich gegen Räuber und ähnliches Gesindel wappnet«, sagte er lachend und richtete die Waffe auf die Knechte.
    »Der Erste von euch, der noch einen Schritt auf mich zumacht, wird sich in drei Tagen auf dem Friedhof wiederfinden! Die andere Kugel ist für meinen famosen Vetter bestimmt. Vielleicht freut Malwine sich sogar, wenn sie auf diese Weise vorzeitig zur Witwe wird!«
    Der junge Mann klang so entschlossen, dass Ottokar von Trettin es mit der Angst zu tun bekam. »Mach keinen Unsinn, Fridolin!«, rief er. »Wir sind doch Verwandte. Ich …«
    »Nimm deine Leute und verschwinde. Den Schaden, den ihr angerichtet habt, wirst du Doktor Mütze auf Heller und Pfennig ersetzen. Und da du nach Lore gefragt hast: Ich weiß auf Ehrenwort nicht, wo sie sich befindet. Doch ich bin sicher, dass sie den Ort, an dem sie jetzt weilt, einem Aufenthalt auf dem Gut in jedem Fall vorziehen wird!«
    Fridolin trat beiseite, damit die ungebetenen Gäste den Raum verlassen konnten, und da er seine Waffe im Anschlag hielt, schritt auch Ottokar von Trettin zähneknirschend dem Ausgang zu. An der Tür blieb der Gutsherr noch einmal stehen und drohte seinem Vetter mit der Faust. »Das hast du nicht umsonst getan, Lümmel! Und dich, Mütze, sehe ich vor Gericht wieder. Dort wird sich zeigen, wem dieses Jagdhaus und das Stück Wald gehören. Dafür, dass ihr Lore entführt habt, werde ich euch beide ins Zuchthaus bringen!«
    Der Fuhrunternehmer Wagner war zunächst im Flur stehen geblieben, sah sich nach Ottokars letzten Drohungen jedoch zum Eingreifen genötigt. »Jetzt tragen Sie nicht so dick auf, Herr von Trettin. Ich habe gesehen, wie Sie sich hier aufgeführt haben. Im Landkreis wird es bestimmt nicht gut aufgenommen werden, dass Sie Doktor Mützes Jagdhaus aufgebrochen und ihn mit dem Stock geschlagen haben. Und was Herrn Fridolin betrifft, so wird jedes Ehrengericht ihm zugestehen, dass er Sie für Ihre Frechheiten zum Duell fordern kann. Was übrigens Ihre Verwandte Lore Huppach betrifft, so hat Wolfhard von Trettin diese noch zu seinen Lebzeiten auf die Reise nach Amerika geschickt. Sie werden ihren Namen auf den Passagierlisten des Norddeutschen Lloyd finden!«
    »Lore soll nach Amerika fahren?«, rief Fridolin erschrocken aus.
    »Mein Onkel muss verrückt geworden sein!«

VIERTER TEIL
Die Entführung

I.
     
    Joe Penns Heim war ein schmalbrüstiges, zweistöckiges Gebäude in einer schier unendlichen Reihe nahezu identischer Häuser, die ein großes Hafenbecken säumten. Hunderte von Booten und kleinen Segelschiffen lagen dicht neben der Straße in einer schwarzen Brühe, die von keiner Welle gekräuselt wurde. Es roch nach verfaultem Fisch, und überall hingen Netze zum Trocknen. Auch schien hier niemand die Straße zu fegen, denn im Rinnstein türmte sich der Dreck. Die Kinder aber, die Joe Penn schreiend entgegenliefen, sahen halbwegs sauber aus und hatten ordentlich gekämmte Haare.
    Der grobschlächtige Mann schob die Jungen, die ihn umringten, ebenso sanft beiseite wie die keifende Frau, die aus der Haustür stürzte und ihn mit einem für Lore völlig unverständlichen Wortschwall überschüttete. Bei ihr handelte es sich ganz

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