DGB 06 - Gefallene Engel
fast
kam es ihm vor, als würde sich die Energie aus dem Willen seines Cousins speisen,
der weiter zurückfiel.
In der letzten Runde war er
Nemiel so weit voraus, dass er ihn vor sich sah. Er war im Begriff, ihn zu überrunden.
In diesem Moment wusste er, wie er dem Stolz seines Cousins einen zusätzlichen
Stich versetzen konnte. Er trieb sich zu noch größerer Eile an und ließ den
Abstand zwischen ihnen schrumpfen.
Entsetzt sah Nemiel über die
Schulter, und am liebsten hätte Zahariel bei diesem Anblick laut gelacht. Sein Cousin
hatte verloren, und dieses Wissen raubte ihm alle Kraft, die er noch besaß.
Zahariel zog an ihm vorbei und
erreichte mit zehn Metern Vorsprung die Ziellinie. Das Rennen war gelaufen, er
ließ sich auf die Knie sinken. Gierig schnappte er nach Luft und hielt sie die
brennenden Oberschenkel. Nemiel kam mit unsicheren Schritten an ihm
vorbeigelaufen, und Zahariel rief ihm zu: »Es ist vorbei, Cousin! Ruh dich
aus!«
Doch der schüttelte den Kopf
und lief weiter. Einerseits konnte er den albernen Stolz seines Cousins nicht fassen,
andererseits bewunderte er ihn für seine Beharrlichkeit und die Entschlos-senheit,
zu Ende zu führen, was er begonnen hatte.
Obwohl er keinen Funken Kraft
mehr besaß, raffte sich Zahariel auf und ging eine Reihe Dehnübungen durch.
Schließlich wusste er nicht, wann die Astartes ihn das nächste Mal fordern
würden.
Er war eben mit der ersten
Runde Übungen fertig geworden, da kam Nemiel über die Ziellinie gestolpert und
ließ sich mit einem erstickten Keuchen zu Boden fallen. Er schnappte unentwegt
nach Luft, der Schweiß lief ihm in Sturzbächen übers Gesicht.
»Du hast dir aber Zeit
gelassen«, sagte Zahariel ungewohnt spitz.
Nemiel schüttelte nur den Kopf.
Zahariel hielt ihm die Hand
hin.
»Komm hoch, du musst dich
strecken.«
Sein Cousin winkte ab,
versuchte weiter durchzuatmen und kniff die Augen zu. Daraufhin kniete sich Zahariel
neben ihn und begann Nemiels Beine zu massieren, um die Anspannung aus seinen
Muskeln zu vertreiben.
»Das schmerzt!«, rief Nemiel.
»Es wird noch viel schlimmer
schmerzen, wenn ich nichts mache«, gab Zahariel zurück.
Nemiel biss sich auf die Lippe.
Allmählich ging sein Atem langsamer und gleichmäßiger, nach und nach erholte
sich sein Körper von der Strapaze. Schließlich konnte er sich aufsetzen, und
Zahariel kümmerte sich um seine Schultern.
Schweigend erkannte Zahariel
den verletzten Stolz, der seinem Cousin ins Gesicht geschrieben stand, und längst
bereute er die zusätzliche Demütigung, die er ihm zugefügt hatte, als er ihn
auch noch überrunden musste. Aber Nemiel war alt genug, um mit einem solchen
Schlag zurechtzukommen. Immerhin war es nichts anderes gewesen als das, was sie
seit Jahren miteinander veranstalteten.
Als er schwere Schritte hinter
sich hörte, drehte sich Zahariel um und entdeckte den Astartes mit der reich verzierten
Rüstung.
»Du bist schnell gelaufen,
Junge«, sagte der Krieger.
»Wie heißt du?«
»Zahariel, mein Lord.«
»Steh auf, wenn du mit mir
redest«, befahl der Astartes.
Zahariel erhob sich. Die
Gesichtszüge des Kriegers waren von Wind und Wetter gegerbt und ließen ihn recht
alt erscheinen, während seine Augen immer noch einen jugendlichen Glanz hatten.
Seine Rüstung war mit Symbolen aller Art überzogen, deren Sinn sich Zahariel
nicht erschloss, und in einer Hand hielt er einen goldenen Stab mit einem
Objekt auf der Spitze, das an einen Schädel mit Hörnern erinnerte.
»Wie hast du dieses Rennen
gewonnen?«
»Ich ... ich bin einfach
schneller gelaufen«, antwortete Zahariel.
»Ja, aber woher kam die
zusätzliche Kraft?«
»Ich weiß nicht. Ich habe mich
vermutlich einfach stärker angestrengt.«
»Das mag sein«, überlegte der
Krieger. »Allerdings vermute ich, du weißt nicht, wie du es genau gemacht hast.
Komm mit, Zahariel, ich will dir einige Fragen stellen.«
Zahariel sah Nemiel an, der
desinteressiert mit den Schultern zuckte.
»Beeil dich, Junge!«, herrschte
der Krieger ihn an.
»Oder bringen eure Meister euch
keinen Gehorsam bei?«
»Entschuldigen Sie, mein Lord,
aber wohin gehen wir?«
»Hör auf, mich >mein
Lord< zu nennen. Das macht mich verrückt.«
»Und wie soll ich Sie nennen?«
»Sag Bruder-Scriptor Israfael
zu mir.«
»Und wohin gehen wir, Bruder
Israfael?«
»Woanders hin«, antwortete
Israfael.
»Und dort werde ich die Fragen
stellen.«
»Woanders« entpuppte sich als
eine der Meditationszellen, in die Anwärter von
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