Dhalgren
Gedichte zu lesen, es hat mir Spaß gemacht, Sie lesen zu hören. Sie besitzen eine Art primitiver Energie, die größtenteils aus der ausgefeilten Sprache herrührt, für die Sie, wie man aus der Art der Verbesserungen ersehen kann, eine Menge Arbeit aufgewendet haben. Aber ich habe keineswegs lange genug mit ihnen zu tun gehabt, um entscheiden zu können, ob sie, um den einfachen Ausdruck zu benutzen, gute oder schlechte Gedichte sind. Es ist sehr gut möglich, daß ich in irgendeinem Buchladen auf sie stoße, sie durchlese, auch sehr sorgfältig lese und nichts darin finde, was mich interessiert.«
Kidd runzelte die Stirn.
»Sie haben gesagt, Sie schreiben erst seit ein paar Wochen?« Kidd nickte, immer noch stirnrunzelnd. »Das ist erstaunlich. Wie alt sind Sie?« »Siebenundzwanzig.«
»Na, also.« Mr. Newboy lehnte sich zurück. »Ich habe gedacht, Sie sind viel, viel jünger. Ich hätte Sie so auf neunzehn oder achtzehn geschätzt und daß Sie den größten Teil Ihres Lebens auf dem Lande verbracht hätten.«
»Nein. Ich bin siebenundzwanzig und habe überall gearbeitet: Stadt, Land, auf einem Schiff. Was hat es damit zu tun?«
»Absolut nichts.« Newboy lachte und trank. »Oberhaupt nichts. Ich habe Sie erst ein paarmal getroffen, und es wäre schrecklich anmaßend, zu glauben, ich kenne Sie, doch ehrlich, was ich dachte, war, wie etwas wie dies hier auf Sie wirkt. Siebenundzwanzig . . .?«
»Ich fände es gut.«
»Sehr gut.« Newboy lächelte. »Und ich bin zu der Entscheidung gekommen, daß in dieser Welt so wenig Gedichte veröffentlicht werden, daß es mir schlecht anstehen würde, jemandem im Weg zu stehen, der mehr herausbringen möchte. Daß Sie älter sind, als ich ursprünglich angenommen habe, macht es leichter. Ich fühle mich nicht so verantwortlich. Sie verstehen, ich habe nicht wirklich mit der ganzen Sache zu tun. Die Idee kam von Mr. Calkins. Denken Sie jetzt nicht schlecht über mich, aber ich habe eine Weile versucht, es ihm auszureden.«
»Weil Sie dachten, die Gedichte sind nicht gut genug.«
»Weil Roger vom Lyrikverlegen keine Ahnung hat. Man endet oft unbewußt bei Sensationalismus. Und Sensationen und Gedichte haben nichts miteinander gemein. Aber Ihre Gedichte sind nicht sensationell. Und ich glaube auch nicht, daß er Sensationen daraus machen will.«
»Ich habe gerade mit einem anderen Dichter gesprochen. Ich meine, mit jemandem, der seit langer Zeit schon schreibt, mit einem Buch und so. Er hatte Gedichte in Poetry. Und in diesem anderen . . . dem New Yorker. Vielleicht möchte Mr. Calkins auch von seinem Zeug mal etwas sehen?«
»Ich glaube nicht«, sagte Mr. Newboy. »Und wenn ich etwas gegen die ganze Sache einzuwenden habe, dann das. Wie möchten Sie, daß Ihr Buch heißen soll?«
Die Muskeln in Kidds Gesicht verspannten sich fast schmerzhaft. Als er sie entspannte, spürte er das Gefühl in seinen Eingeweiden, das Angst bedeutete. Seine Gedanken waren scharf und glitzernd. Er war sich der beiden Männer in Leder bewußt, die in der Ecke saßen und redeten, der Frau in Bauarbeiterstiefeln, die vom Männerklo kam, Fenster und Loufer immer noch in ihrer Nische, des Barmanns, der sich auf einem Handtuch über die Theke lehnte, sowie Newboys. Er zog das Notizbuch auf den Schoß und sah hinab. Nachdem er bis sieben gezählt hatte, blickte er auf und sagte: »Ich möchte, daß es Messing Orchideen heißt.«
»Noch mal!«
»Messing Orchideen.«
»Ohne Artikel?«
»Ja. Nur: Messing Orchideen.«
»Das klingt sehr hübsch. Ich mag es.« Dann veränderte sich Newboys Gesichtsausdruck: Er lachte. »Das ist wirklich hübsch! Sie haben aber einen ganz schönen Sinn für Humor!«
»Yeah«, sagte Kidd. »Weil ich glaube, das kostet mich ganz schön, so einen Shit herauszubringen. Ich meine - ich und ein Gedichtband!« Auch er lachte.
»Ja, das finde ich schön«, wiederholte Newboy. »Ich hoffe, daß alles klappt. Vielleicht erweist sich mein Zögern als gänzlich unbegründet. Wenn Sie uns irgendwann in den nächsten Tagen die Kopien der Gedichte bringen, das wäre schön.«
»Klar.«
Newboy nahm sein Glas. »Ich gehe ein bißchen zu Paul Fenster da drüben. Er ist heute von Roger fortgegangen, und ich möchte ihm guten Tag sagen. Würden Sie mich entschuldigen?«
»Yeah«, Kidd nickte hinter Newboy her.
Wieder blickte er auf sein Notizbuch. Mit dem Daumen schnackte er die Haltespange des Stifts aus der Spirale und starrte weiter auf den Deckel: Klick-klick,
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