Dhalgren
Verwirrt lächelnd ging er hinunter. »Ich habe es nicht mitbekommen, als du abgehauen bist.« Es gibt einige Stürme, dachte er, unter dem zerfetzten Himmel. Es ist leichter, darauf zuzugehen.
»Klar«, sagte sie, als er unten anlangte. »Hab' ich mir gedacht.« Ihre Finger fuhren weiter über das zersprungene Glas.
»Wenn du so weitermachst, wirst du dich schneiden -«
»Irgendwas ist komisch an dir«, sagte sie mit ablehnender Miene. »Etwas Komisches, oder Linkes oder so.«
»Also bitte«, antwortete er. »Gib du mir bitte keinen Namen«, und merkte, daß er auch ihren nicht kannte. Das durchbrach die aufkeimende Wut, bis er weitaus näher an sie herangekommen war, als er gewollt hatte: Seine Finger am Bein versuchten, die gleiche Stellung einzunehmen wie ihre. Sein Gesicht verzog sich, um ihres zu imitieren.
»Als er . . . mit mir war, spielte sich alles nur zwischen euch beiden ab. Als wenn ich gar nicht dagewesen wäre.«
»Als ich es mit dir gemacht habe, spielte sich alles nur zwischen euch beiden ab. Ich hätte mich genausogut selbst befriedigen können«, und fühlte, während er es sagte, daß der Vergleich unfair war. »Er sagt, du seist seine beste Freundin. Was ist das? Er denkt, er tut es für dich und du denkst, du tust es für ihn.« Sein Gesicht, das ihres nachahmte, registrierte eine plötzliche Traurigkeit bei sich, die so intensiv war, daß er einige Momente brauchte, um den Wechsel in ihrer Miene zu bemerken.
»Ich war mal . . . Beste in meiner Klasse!« sagte sie plötzlich.
Er fragte sich, was in seinen Augen brannte, bis er die Tränen in ihren sah.
»Ich war mal die Beste in der Klasse!« Sie ließ den Kopf sinken.
Er ließ seinen sinken, flüsterte: »Hey . . .« und legte die Hand (zu sanft, dachte er) auf ihren Nacken, berührte ihre Stirn mit seiner.
»Warum gehst du nicht weg?« fragte sie mit trauriger, erschöpfter Wut.
»Okay.« Er drückte sie, stieß beim Rückzug ein leises Lachen aus und ging die Treppe wieder hinauf (seine Handfläche war kalt, der Nacken warm gewesen). Doch im Flur runzelte er die Stirn.
Als er wieder in das Hochbett stieg, drehte sich Denny (zwischen Kids Fäusten) um, zwinkerte und grunzte.
»Hey, deine Freundin draußen ist ziemlich sauer.«
»Oh, Shit!« sagte Denny und stand auf. Er wühlte mit den Handballen in den Augen und krabbelte dann zum Rand.
Kid griff nach dem kettenlosen Fuß.
Denny sah sich um.
»Habt ihr dieses Trauma jedesmal, wenn ihr bumst?«
»Mein Fehler«, gab Denny zurück.
»Klar«, nickte Kid. »Kommst du wieder hierher zurück?«
»Ich geh jetzt besser. Ich glaube, ich habe zuviel über dich geredet. Seit längerem habe ich, glaub' ich, über nichts anderes geredet.«
»Dabei fällt mir ein«, sagte Kid, »du machst aus dieser Dame in dem Warenhaus mit dem Kleinkaliber mehr, als wirklich dran ist.«
Denny grinste. »Ich rede schon eine verteufelt lange Zeit über dich, viel länger als das.« Und stieg über den Rand.
Kid lehnte sich zurück und stöhnte. »Fuck . . .«, rollte sich dann zurück und wünschte sich, dort läge jemand. Vielleicht, dachte er, sehr müde, bringt er sie mit zurück. Er rechnete damit, daß Denny zurückkommen würde. Sollte er sie wirklich berührt haben? (Er erkannte daß er begann, sich in paranoiden Spekulationen zu suhlen, erkannte aber auch, daß auf der anderen Seite Schlaf lag.) Auf der Straße angefaßt? Wenn sie ineinander verliebt waren, würde er es in einem Tag, einer Woche, einem Monat herausfinden, falls sich das überhaupt als richtig erweisen sollte. Hölle, hätte er es Denny erzählen sollen? Er wurde benutzt. Das mochte er nicht. Das ist nicht das Richtige für jemanden, der dich gerade ins Bett gezogen hat. Verliebt? Er fand, er konnte sie überhaupt nicht leiden. (In ein Schweigen hinein hatte sie einmal »Auf Wiedersehen« gesagt.) Doch er sollte sich aus solchen emotionalen Blockern heraushalten. (Wieder drehte er sich um und wünschte sich, Lanya wäre nicht verschwunden.) Alberne, dämliche Kinder! Warum hat Denny sie überhaupt angeschleppt? Selbstgerechtes Beleidigtsein, beschloß er schließlich, war leichter. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er die Kette um seinen Körper. Vorsichtig, murmelte er, damit sie nicht zerreißt - und wußte nicht, warum er deshalb Angst haben sollte.
2
Als er aufwachte, war er allein.
Kid setzte sich mit geschlossenen Augen auf. Die Luft auf der Empore war stickig und trocken. Ob das Pulsieren im
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