Dhalgren
reden.«
Lanyas Augen blitzten vom Zimmer zu Kids Augen. »Gut.«
Er bedeutete ihr mit dem Kopf, ihm zu folgen.
Sie traten um jemanden herum und über jemand anders und gingen in den Flur.
Der Lärm stieg an, kreiselte und verebbte.
Auf der Suche nach Dennys Zimmer mit dem Hochbett öffnete Kid die zweite Tür. Aber hier war es zu hell -
Siam auf einem Bierkasten neben dem Spülstein sagte: »Hey!« und legte die Zeitung auf den Schoß. Er sah Kid mit einem Lächeln an, das verwirrt wurde. »Ich habe . . . die Zeitung gelesen.« Am Rand des Verbandes über seiner Hand schälte sich die Haut. Siam bot noch einmal sein braunes Lächeln an, überlegte es sich und zog es zurück. »Les' nur die Zeitung.« Er stand auf; die Zeitung fiel zu Boden. Die Dielen waren mal dunkelrot gestrichen gewesen.
In dem großen Verandafenster war weder Glas noch Drahtgitter. Den Hügel abwärts ergoß sich die Stadt.
»Man kann ... so weit sehen«, sagte Lanya an Kids Schulter. Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. »Ich wußte nicht, daß man von hier so weit sehen kann.«
Aber Kid runzelte die Stirn. »Was ist das?«
Hinter den letzten Häusern, hinter dem verschwommenen Grau, an einer Stelle, wo der Horizont hätte sein können, flammte ein niedriger, leuchtender Bogen.
»Sieht aus, als ob die Sonne aufging«, sagte Lanya.
»Nee«, meinte Siam, »es ist mitten am Nachmittag. Vielleicht ist es . . .« Er blickte Kid an, stoppte.
»Vielleicht ist es ein Feuer«, sagte Kid. »Es ist zu groß für die Sonne.«
Siam kniff die Augen zusammen. Der Bogen war rötlich. Hinter der Lücke des Parks ergoß es sich kupfern auf ein paar Häuser, was im Dunst fast zu Weißgold ausblich. »Manchmal«, sagte Siam, »wenn der Mond ganz dicht über dem Horizont steht, sieht er viel größer aus. Vielleicht passiert das auch manchmal mit der Sonne?«
»Aber du hast gerade gesagt, es ist mitten am Nachmittag.« Auch Kid kniff die Augen zusammen. »Außerdem ist es trotzdem zehnmal zu groß.« Er sah Lanya an. »Laß uns gehen.«
»Okay.« Lanya nahm seine Hand, die mit den Klingen, glitt mit ihren Fingern in das Metall und hielt zwei von seinen.
Sie gingen zurück in den Flur.
Der Raum mit Dennys Hochbett hatte keine Tür.
»Wenn hier niemand drin ist«, sagte Kid, »können wir reden.«
»Willst du noch Kaffee?«
»Nein.«
Sie trank die halbe Tasse aus (während er dachte, wie heiß er sein mußte) und stellte sie auf das vollbeladene Bügelbrett hinter dem Motorrad.
»Geh rauf in das Hochbett.«
Sie kletterte und blickte sich um. »Hier ist niemand.«
»Geh weiter.«
Sie kletterte hinauf, zuerst verschwand der eine, dann der andere Turnschuh. Er stieg hinter ihr her.
»Weißt du«, sagte sie, als er das Knie herüberschob. »Ich bin vorbeigekommen, weil ich mich entschuldigen wollte, weil ich so - du weißt schon gewesen bin. Bin einfach so weggelaufen. Und so wütend.«
»Oh«, sagte er. »Ist okay. Du warst sauer. Ich freue mich nur, daß du da bist.« Mit geballter Faust auf den Decken setzte er sich auf die Schenkel und betrachtete ihre Silhouette gegen das Rollo. »Woher wußtest du, daß ich hier bin?« Er wollte den Kopf in ihren Schoß legen, wollte zwischen ihren Beinen nuckeln. »Wie hast du mich diesmal gefunden? Wer hat mich heute morgen gesehen und hat es dir gleich berichtet?«
»Aber hier sollst du doch schon seit -«
»Ich weiß.« Er setzte sich zurück und lachte kurz auf. »Ich bin wieder seit fünf Tagen verschwunden! Stimmt's?« Die Silhouette runzelte die Stirn.
»Oder sechs. Oder zehn . . . Die Leute haben wieder über mich geredet, haben erzählt, wie ich hier wohne, mit den Skorpionen herumlaufe, meinem Ruf nachjage.« Er wollte mit seinen rauhen, häßlichen Händen ihre warmen Wangen umfassen. Er sagte, und seine Stimme wurde dabei rauh und häßlich: »Ich habe dich jeden Tag, seit ich dich kennengelernt habe, gesehen . . .« Er zog beide Hände, die freie und die in der Rüstung, in seinen Schoß, wo sich Knochen und Muskeln, Kette und Leder, Nerven und Metall vermischten, schwer, verknoteten. »Das stimmt!« Er schluckte und sagte: »So fühle ich das zumindest.«
Sie antwortete: »Das ist eines der Dinge, die ich mit dir bereden möchte, ich meine, nachdem ich dich schlafend in der Kirche zurückgelassen habe, dachte ich, du würdest vielleicht gerne wissen, was passiert ist, während du . . . weg warst. Du hast gesagt, du hättest mich in der Parkkommune gesucht. Ich dachte, du wolltest
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