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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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ihn lediglich eine Minute lang gesehen. Er strengte sich sehr an und versuchte, diese Tür mit einem Stück Holz oder Metall aufzustemmen - etwas Schreckliches war mit seinen Händen geschehen. Seine Hände waren viel kleiner als Ihre; und von zwei Fingern war der Verband abgelöst.« Sie zog eine Grimasse. »Aber dann brauchten die Leute am anderen Ende des Flurs Hilfe, und er ging zu ihnen. Ich hatte ihn vorher nie gesehen - nun, normalerweise war ich im Büro. Doch trauriger ist, daß ich ihn nie wieder gesehen habe. Aber als ich Sie - wie viel später? - mit dem zerschundenen Gesicht bei Teddy's sah und dann wieder am nächsten Morgen im Park, barfuß, mit offenem Hemd, ist mir sofort die Ähnlichkeit aufgefallen. Einen Moment dachte ich, Sie seien die gleiche Person. Und Sie hatten uns geholfen, deshalb wollte ich Ihnen helfen -« Sie lachte. »Daher bedeutet das« - sie faßte an die Kette - »gar nichts.«
    Ich runzelte die Stirn. »Sie meinen, ich . . . ich war hier in der Anstalt? Daß ich niemals von irgendwo anders hergekommen bin? Daß ich die ganze Zeit - «
    »Natürlich nicht.« Madame Brown sah überrascht aus. »Ich habe gesagt, der junge Mann sah irgendwie aus wie Sie, er hatte die gleichen Bewegungen, besonders aus der Entfernung. Er hatte ungefähr Ihre Größe und Hautfarbe - vielleicht auch ein bißchen kleiner. Und ich bin sicher, sein Haar war dunkelbraun und nicht schwarz - obwohl es Nacht war und nur Licht durch die Fenster kam. Ich glaube, als er wegging, rief ihn jemand beim Namen: Aber ich weiß nicht mehr, wie er war.« Ihre Hände fielen in den Schoß. »Aber das ist auf jeden Fall der wahre Grund, warum ich Ihnen den Job anbot. Ich weiß nicht warum, aber ich dachte, es sei jetzt an der Zeit, das aufzuklären.«
    »Ich war nicht immer hier«, sagte ich. »Ich bin hierhergekommen, über die Brücke, über den Fluß, und werde bald wieder zurückgehen. Mit Lanya und Denny . . .« Das hörte sich sehr wichtig an.
    »Natürlich«, sagte Madame Brown, sah aber verdutzt aus. »Wir alle müssen dorthin zurück, wo wir hergekommen sind. Und natürlich kommen wir alle von dort, wo wir früher waren. Sicher müssen Sie zu irgendeinem Zeitpunkt hierhergekommen sein. Wichtiger ist jedoch, daß man nicht in irgendeinem selbstgebauten Kreis gefangen wird, gewöhnlich - « Draußen bellte der Hund. »Oh, das muß mein nächster Patient sein«, unterbrach sich Madame Brown. Der Hund bellte wieder, bellte weiter.
    Madame Brown runzelte die Stirn, erhob sich halb aus ihrem Stuhl eine Hand abwesend an der Kette. »Muriel!« rief sie; ihre Stimme klang laut und tief. »Muriel!«
    Es mußte irgendwie an der Gegenüberstellung gelegen haben: Die Ketten mit Linsen und Prismen oder vielleicht, daß sie gesagt hatte, die Ketten bedeuteten nichts; es überzeugte mich, daß ich ihre wahre Bedeutung erfahren würde; nicht, daß ich die Person im Krankenhaus war, aber daß ich oder er irgendwie . . . oder wie sie ihren Hund rief und mich veranlaßte, darüber nachzudenken, wie an irgendeinem Ort, irgendwann sie oder jemand anders ihn gerufen hatte - jedes einzelne Element schien die anderen zu erklären, nicht meinen Namen, sondern möglicherweise einen anderen; wenn ich mich erinnern konnte, hellte sich das Mosaik auf, und dieser Kratzer . . . Schauer überfielen mich. Man stieß, schubste mich, ließ mich fast erinnern an . . . was? Irgend etwas über die weiten Abgründe unseres Unwissens hinaus? Was immer es war, es war ungeheuer sinister und atemberaubend befreiend. Aber ich wußte nichts, und dieses mystische Unwissen überzog mich mit Gänsehaut.
    »Nun«, sagte Madame Brown. »Unsere Zeit ist fast um. Und ich bin sicher, mein nächster Patient ist schon da.«
    »Okay«. Auch ich fühlte mich irgendwie erleichtert. »Hey, danke Ihnen.«
    »Möchten Sie gerne noch eine - ?«
    »Nein. Danke, nein. Ich will nicht wiederkommen.«
    »Gut.« Sie stand auf und überlegte, ob sie noch etwas sagen wollte. Was vermutlich lautete: »Kid, bitte denken Sie nicht, ich bin überheblich. Vielleicht verstehe ich nicht viel von Ihnen oder von einigem, über das wir geredet haben. Aber nicht, weil es mir egal ist.«
    Ich lächelte. Gänsehaut kräuselte sich - »Ich halte Sie nicht für überheblich . . .« und verschwand. »Aber ich wußte, daß ich nur einmal herkommen würde - als Patient. Ich mußte bei mir etwas unternehmen. Aber ich habe viel Therapie gemacht. Und Sie müssen wissen, was Sie damit anfangen können.«

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