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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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schrieb langsam. In kurzen Abständen blickte er konzentriert hoch, zur Tür oder auch zum Fenster. Acht Zeilen später steckte er den Stift wieder in die Tasche. Der ohnehin schon verbreiterte Knöchel seines linken Mittelfingers war wund und schmerzte vom Stift. Er gähnte, schloß das Buch und blieb noch eine Weile sitzen, um die Nebelschwaden vorbeiziehen zu sehen. Dann warf er das Buch auf den Boden, stand auf und trug den Stuhl nach 19B.
    Er benutzte ein Stück Pappe als Schaufel und trug das Zusammengefegte in die andere Wohnung. Da er keinen Abfalleimer fand, warf er es in eine Schreibtischschublade. Wieder in der Küche, schepperte er den Eimer in den Spülstein. Wasser rauschte auf das Zinkblech, wirbelte auf. Das Rauschen wurde zum Plätschern, wurde im Schaum immer gedämpfter.
    »Ich weiß einfach nicht, an was ich gedacht habe!«
    »Ist schon gut, Ma' am. Wirklich —«
    »Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist. Hier sind sie -«
    »Ist in Ordnung, Mrs. Richards.«
    »Mitten im Kühlschrank.« Sie schwang die Tür auf. »Sehen Sie. Ich habe sie zubereitet. Wirklich.«
    Drei Sandwiches lagen auf einem Teller. Jedes hatte ein Loch in der Mitte.
    Er lachte. »Ich glaub's Ihnen ja.«
    »Ich habe sie gemacht. Dann habe ich gedacht, ich schicke June und Bobby hoch. Dann dachte ich wieder: Oh, nein, es ist noch zu früh für Lunch, also habe ich sie in den Kühlschrank gestellt -« Sie schloß die Kühlschranktür halb. »- Ich hab sie vergessen. Sie könnten sie jetzt essen.«
    »Danke. Das ist gut. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich die Möbel alle draußen habe und die hinteren beiden Räume gewischt, ebenso das hintere Bad.«
    »Nehmen Sie.« Wieder öffnete sie die Tür. »Nun nehmen Sie schon. Gehen Sie hinein und essen Sie. Oh!« Die Kühlschranktür schlug zu und fegte ihm fast den Teller aus der Hand. »Kaffee? Sie wollen bestimmt Kaffee. Ich setze gleich Wasser auf. Nun machen Sie schon. Ich komme sofort.«
    Vielleicht ist sie verrückt (dachte er und ging ins Wohnzimmer). Auch.
    Er setzte sich auf die L-förmige Couch, stellte den Teller auf den Couchtisch und pflückte eine nach der anderen die Brotkrusten ab: Erdnußbutter und Gelee, Brotaufstrich und Senf und - ? Er steckte den Finger hinein, leckte: Leberpastete.
    Das aß er zuerst.
    »Na bitte!« Sie stellte ihm eine Tasse hin und setzte sich auf den anderen Schenkel des L, schlürfte ihren Kaffee.
    »Es ist sehr gut«, murmelte er mit vollem Mund und hielt das Sandwich demonstrativ hoch.
    Sie nahm noch ein paar Schluck. Dann sagte sie: »Sie wissen, was ich will?«
    »Mmm?«
    Sie blickte auf das Notizbuch auf der Couch und nickte. »Ich möchte, daß Sie mir Ihre Gedichte vorlesen.«
    Er schluckte. »Nee, ich gehe nach oben und wische zu Ende. Dann mach' ich die Küche. Sie können Ihr Zeug zusammenräumen, und ich nehme heute abend einiges mit nach oben.«
    »Morgen!« rief sie. »Oh, morgen! Sie haben so schwer gearbeitet. Lesen Sie mir ein Gedicht. Außerdem haben wir hier noch nichts fertig.«
    Er lächelte und dachte an Mord.
    Und hier, dachte er, wäre es so leicht, es hinter sich zu bringen . . .
    »Ich glaube, Sie mögen sie nicht.«
    Sie faltete die Hände im Schoß und beugte sich nach vorn. »Bitte.«
    Er zog das Buch auf den Schoß (als würde ich mich bedecken, dachte er. Ich könnte sie umbringen.) »Okay.« An der Rückseite seiner Hüfte kitzelte etwas. Es war Schweiß, der an der Kette entlangperlte. »Ich lese Ihnen . . .«Er öffnete das Buch und hustete: »Dieses hier.« Er atmete ein und sah auf das Papier. Ihm war sehr heiß. Die Ketten zogen über seinen Rücken, er zog die Schultern zusammen. Als er den Mund öffnete, war er einen Augenblick lang sicher, daß kein Laut herauskommen würde.
    Doch er las.
    Wort um Wort ließ er in die Stille tropfen.
    Aus seiner Stimme troff die Bedeutung und zerfaserte.
    Töne, die er zusammengestellt hatte, um eine bestimmte Melodie herauszuholen, klangen nicht. Die Mundwerkzeuge waren zu unbeholfen, um dem zu folgen, was sein Auge wußte. Er las jedes Wort und war sich schrecklich klar, wie das letzte jeweils hätte klingen sollen.
    Einmal hustete er.
    Einen Satz lang war er ruhiger, besonnener. Dann, an einer Stelle, wo seine Stimme ein Komma ausließ, fragte er sich hektisch: Warum habe ich dieses hier genommen? Ich hätte jedes andere nehmen sollen!
    Rauh flüsterte er die letzte Zeile und legte ein Hand auf den Bauch, um den Schmerz fortzudrücken. Er atmete ein paarmal

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