DHAMPIR - Blutsverrat
halfen. Vielleicht kam es in Venjètz nicht zu Zwangsrekrutierungen.
Der allgemeine schlechte Zustand der Stadt erstaunte Wynn am meisten. Nur wenige Straßen waren gepflastert, aber im Gegensatz zu Kéonsk, wo man die unbefestigten Wege regelmäßig instand setzte, sah Wynn hier immer wieder gefrorene Schlammklumpen und von Wagenrädern geschaffene tiefe Furchen. Die Straßen von Venjètz erweckten den Eindruck, als hätte sich seit Jahren niemand um sie gekümmert. Einige Läden und Ställe wirkten verfallen, doch den Leuten schien es nicht an Fleiß zu mangeln. Vielleicht gab es angesichts des langen Militärdienstes nicht genug Holzfäller, Tischler und Schmiede, um die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Oder waren sie mit anderen Dingen beschäftigt in einem Land, in dem es jederzeit zu Krieg kommen konnte?
Als sie sich dem offenen Marktplatz näherten, hörte Wynn die Rufe der Straßenhändler und nahm den Geruch von stark gewürztem Fleisch wahr. Chap jaulte mitleiderregend, und die junge Weise deutete auf einen Verkaufsstand, bei dem Rauch aus dem Kamin auf dem schneebedeckten Dach kam. Die Bude war bis nach hinten zur Hälfte offen, und Stühle standen am kleinen Tisch.
»Dort hinein«, sagte Wynn.
Sie wählten einen Tisch hinten in der Ecke. Leesil saß auf der einen Seite, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und beobachtete die anderen Gäste. Magiere wählte den Stuhl ihm gegenüber, und Wynn nahm so Platz, dass sie den vorderen Teil der Bude im Auge behalten konnte. Als der Nebentisch frei wurde, schob Leesil die Stühle mit dem Fuß etwas weiter fort, damit sie für sich sein konnten. Ihr Gespräch würde sich in dem allgemeinen Stimmengewirr verlieren. Bei einem Jungen, der ein Tablett mit leeren Tellern fortbrachte, bestellte Leesil Tee und Haferbrei.
Wynn beugte sich zu ihm vor. »Du musst uns sagen, was vor sich geht.«
Magiere strich ihre Kapuze zurück und schüttelte das Haar frei. »Wie meinst du das?«
»Ihr habt die Zeichnungen gesehen«, sagte Wynn leise. »Und wir wissen, mit we m … mit welcher Art von Person Byrd gestern Abend gesprochen hat. Was folgt daraus?«
Magiere schloss die Augen und seufzte. Leesil rieb sich das Gesicht und wandte den Blick ab.
»Wie bitte?« Wynn starrte Leesil und Magiere verblüfft an. »Du weißt, was er vorhat, und du hast es nicht für nötig gehalten, mit mir darüber zu reden?«
Zwar war ihre Stimme nur wenig mehr als ein Flüstern, aber sie vermied es, die Worte »Darmouth« und »Ermordung« zu benutzen.
»Wann hätten wir mit dir darüber reden sollen, wenn Byrd in der Nähe war?«, erwiderte Leesil verärgert.
Magiere sah ihn kurz an und runzelte die Stirn, wandte sich dann an Wynn. »Gewöhnliche Elfen lassen sich nicht mit Menschen ein, und ich schätze, die Anmaglâhk sind in dieser Hinsicht noch zurückhaltender. Woraus sich die Frage ergibt, wie Byrd sie für seine Mordpläne gewinnen konnte.« Auch sie verzichtete darauf, Darmouths Namen zu nennen. »Ich weiß, wonach es aussieht, aber vielleicht haben sie eigene Absichten, von denen Byrd nichts weiß. Etwas, was nichts mit seinen Plänen zu tun hat.«
Leesil schwieg mit gesenktem Kopf. Aus den Zeichnungen und seinem Gespräch mit Byrd musste er eigene Schlüsse gezogen haben. Sein Schweigen bestätigte, dass er den einen oder anderen Verdacht hatte, aber ganz offensichtlich verstand er nicht die Konsequenzen von Darmouths plötzlichem Tod.
»Wir müssen es verhindern«, flüsterte Wynn.
Leesil hob den Kopf, und Magiere sah sie erstaunt an.
»Wir sollen einen Despoten retten?«, fragte Magiere ein wenig zu laut. Sie senkte die Stimme. »Dies hat nichts mit uns zu tun. Welcher neue Wahnsinn schwirrt dir durch den Kopf?«
Der unterm Tisch liegende Chap knurrte zustimmend.
»Was passiert, wenn sein Tod bekannt wird?«, erwiderte Wynn leise. »Jeder Adlige, der über Streitkräfte verfügt, wird versuche n … «
»… die Kontrolle über diese Provinz an sich zu reißen«, beendete Leesil den Satz. »Es hat noch immer nichts mit uns zu tun. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, was mit meinen Eltern geschehen ist, und Byrd konnte mir dabei kaum helfen.«
Wieder bildeten sich Falten auf Magieres Stirn, und traurig schloss sie die Augen. Wynn konnte bei dieser Sache nicht auf irgendwelche Gefühle Rücksicht nehmen.
»Wir geben die Suche nicht auf«, sagte sie. »Aber denkt daran, wie viele Dörfer ein Bürgerkrieg zerstören wird, wie viele Menschen dabei den Tod
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