Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
Ereignisse der vergangenen Nacht zurück. Er schwang die Beine über den Rand des Bettes und sah sich um, noch immer benommen vom Dämmern.
»Schatten?«
Sie war nicht da, und wie sollte sie auch? Er hatte das Gasthaus gerade noch rechtzeitig vor Sonnenaufgang erreicht und war ins Zimmer geeilt, auf der Flucht vor dem ersten Tageslicht. Die Bettdecke war feucht von seiner Kleidung, die er nicht ausgezogen hatte. Chane nahm seinen Mantel und ging.
»Schatten!«, rief er, kaum hatte er das Gasthaus verlassen.
Zwei kräftig gebaute Zwerge sahen in seine Richtung, aber Chane kümmerte sich nicht darum. Er hielt nach Schatten Ausschau und fragte sich, wie er sie finden sollte. War sie überhaupt zurückgekehrt?
Im Hafen war noch keine Ruhe eingekehrt. Ein weiteres Schiff hatte an einem der äußeren Kais festgemacht. Der seltsam geschwungene Bug und die zentrale Reihe großer, dreieckiger Segel weckten Chanes Aufmerksamkeit. Zu beiden Seiten ragten lange Schiffsruder hervor.
Hafenarbeiter brachten große Ballen und Fässer aus dem Schiff an Land, und Chane bemerkte einige dunkelhäutige sumanische Passagiere, die lange, fließende Gewänder und Turbane trugen. Sie waren einen Kopf größer als die Zwerge, aber nicht so groß wie der sumanische Domin il’Sänke.
Diese Nacht schien dunkler zu sein als die letzte, und der Mond war noch hinter dem Berg verborgen. In der nächsten Nacht würde er ganz verborgen bleiben: Neumond. Die Dunkelheit war Chanes Welt, und deshalb achtete er auf solche Dinge. Derzeit aber scherte er sich nicht darum.
»Schatten?«
Ein leises Schnauben erreichte seine Ohren.
Chane drehte sich um und sah, wie die Hündin über die Straße tappte. Zu seiner Überraschung fühlte er sich ein wenig schuldig, weil sie den ganzen Tag ausgesperrt gewesen war. Sie lief direkt an ihm vorbei.
»Schatten?«
Sie setzte den Weg in Richtung Hauptstraße fort. Offenbar wollte sie zum Aufzug.
»Komm zurück!«, rief Chane.
An der Ecke blieb Schatten stehen, warf einen Blick über die Schulter, lief weiter und geriet außer Sicht.
Chane eilte ins Gasthaus und holte seine Sachen aus dem Zimmer. Er legte einige Münzen für den Wirt auf die Theke, dann kehrte er nach draußen zurück.
Als er die Ecke erreichte, hinter der Schatten verschwunden war, sah er sie bei der Laderampe sitzen.
Einige Zwerge und zwei bunt gekleidete Sumaner näherten sich. Sie alle blieben stehen, als sie einen »Wolf« bemerkten, der ihnen den Weg versperrte.
» Dhêb! «, knurrte ein vollbärtiger Sumaner.
Als der Mann das an seiner Hüfte baumelnde Krummschwert ziehen wollte, trat Chane vor.
»Sie gehört zu mir!«, sagte er und blieb vor Schatten stehen. »Sie wird euch keinen Ärger machen.«
Ein Zwerg mit kurzem, borstenartigem Haar verzog das Gesicht. Er flüsterte etwas dem nächsten Zwerg zu, der sich wiederum an die beiden Sumaner wandte, offenbar in ihrer Sprache. Chane schaute zurück.
Unter dem wachsamen Blick des Stationsvorstehers ging Schatten die Laderampe hoch. Der Zwerg stand ganz still und hielt die Tür der Kabine auf. Schatten betrat sie mit einem kurzen Knurren und setzte sich in eine Ecke.
Chane bedachte sie mit einem verärgerten Blick, während sich einer der beiden Männer mit den Zwergen stritt, die das Gepäck trugen. Schließlich gab sich Chane einen Ruck, trat in die Kabine und gesellte sich Schatten hinzu. Hafenarbeiter beluden die Kabine und brachten so viele Ballen und Fässer, dass sich Chane besorgt fragte, ob sie den Aufzug überluden. Er sah auf Schatten hinab.
War es ihr gelungen, etwas zu entdecken? Oder hatte sie aufgegeben und wollte jetzt nur zu Wynn zurück?
Derzeit gab es für ihn keine Möglichkeit, Antworten zu bekommen. Er musste warten, bis sie die Reise über den Berghang hinter sich gebracht und Wynn erreicht hatten.
Bei der ersten Glocke nach dem Abendessen saß Wynn auf dem Boden ihres Zimmers, den Zylinder der Schriftrolle in beiden Händen. In dieser Nacht würde die Herzogin ihr Gasthaus nicht verlassen, und Wynn wusste nicht recht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte.
Bei der Gilde hatte sie sich über zwei Jahreszeiten hinweg nur gewünscht, allein und ungestört zu sein. Doch hier im Seatt, in der dritten Nacht ohne ihre Gefährten, fühlte sie sich einsam. Auf diese Weise hatte sie schon lange nicht mehr empfunden.
Widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass sie Chane und Schatten vermisste und sich Sorgen um sie machte. Wie kam Chane ohne sie bei den
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