Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
sich dadurch nichts.
Es war kein Ende dieser Qual in Sicht, und doch weigerte sich Reine nachzugeben. Widerstrebend sah sie nach rechts, wo es eine weitere Öffnung gab.
»Ich bin da«, sagte sie leise, und Bitterkeit stahl sich in ihre Stimme, als sie hinzufügte: »Wieder.«
Sie hörte das Rascheln von Stoff im Nebenzimmer. Schlurfende, ungleichmäßige Schritte näherten sich.
Eine dunkle, große Gestalt erschien in der Öffnung.
Sie hatte den Kopf gesenkt, und dunkelblondes Haar umgab das Gesicht. Mit einer Hand hielt sie sich am Rand der Öffnung fest.
Reine sah bleiche Finger, die einen leicht grünlichen Ton hatten. Oder lag es an den Mineralienadern in den Wänden, die das Licht des Kristalls verfärbten?
»Es geht vorbei«, flüsterte Reine und trat näher. »Nur noch eine Nacht.«
Sie weinte nie vor ihm. Das hätte ihn nur noch mehr belastet.
»Ich bin jetzt hier. Es wird alles gut … mein Frey.«
Das Meerwasser reichte Chane bis zu den Knien und machte selbst für ihn das Gehen schwer. Für Wynn musste es noch viel anstrengender sein.
Der stählerne Reif war längst abgekühlt und verstaut. Je mehr Gitter sie erreichten, desto höher stieg das Wasser, bis die Stäbe so tief im Wasser steckten, dass sie sich gar nicht mehr erhitzen ließen. Chane musste sie allein mit seiner Kraft auseinanderbiegen. Beim letzten Gitter, dem sechsten, hatte es sehr lange gedauert.
Plötzlich platschte es laut, und Schatten verschwand.
Wynn ergriff ihn besorgt am Arm, und Chane schob rasch die Brechstange hinter den Gürtel, bereit zu einem Sprung nach vorn. Aber Schatten kehrte an die Wasseroberfläche zurück und paddelte zu ihnen, bis ihre Vorderpfoten etwas berührten. Dann stand sie auf – das Wasser reichte ihr bis zur Brust.
Chane blickte über sie hinweg und presste die Lippen zusammen. Irgendwo dort vorn fiel der Boden ab.
Wynn drückte ihre Stirn an seinen Arm.
»Verdammte tote Götter«, flüsterte sie. »Wenn die Steingänger nicht wollen, dass jemand auf diesem Weg die Unterwelt erreicht … Warum haben sie nicht einfach einige tödliche Fallen vorbereitet statt dieser endlosen Folge von Gittern …«
Chane legte ihr die Hand auf den Mund.
Diese Frage hatte er sich bereits gestellt und vermutete inzwischen, dass der Tunnel nicht nur dazu diente, das Meerwasser in den Berg zu lassen.
Er blickte nach vorn und glaubte, ein schwaches Glühen in der Dunkelheit zu erkennen.
Dann senkte er den Blick zu Wynn, hob den Zeigefinger vor die Lippen und nahm ihr die Hand vom Mund. Er beugte sich zu ihrem Ohr und raunte: »Sieh nur.«
Wynn hob den Kopf, und ihre Augen wurden groß.
Chane sah auf Schatten hinab und legte erneut den Zeigefinger auf die Lippen, spähte dann einmal mehr durch den Tunnel. Zwanzig oder dreißig Meter weiter vorn glaubte er, vertikale dunkle Linien vor dem Hintergrund des Lichts zu erkennen.
Noch ein Gitter.
Er versuchte, seine Erschöpfung beiseitezuschieben und die Wahrnehmung zu erweitern, konnte aber trotzdem keine Gewissheit erlangen. Das Gitter schien kleiner zu sein als die anderen. Oder waren die Stäbe einfach nur dicker?
Lag vielleicht das Ende des Tunnels vor ihnen?
Chane trat vorsichtig über den im dunklen Wasser verborgenen Boden. Nach wenigen behutsamen Schritten ertastete er mit dem Fuß eine Kante und trat darüber hinaus. Er versank bis zur Taille, und dadurch geriet der an der Hüfte zusammengebundene Mantel ins Wasser.
Vielleicht handelte es sich um ein Speicherbecken, dazu bestimmt, das Wasser in diesem Bereich des Tunnels länger zu halten, als es der Wechsel von Flut und Ebbe eigentlich erlaubte. Wynn würde hier bis zur Brust versinken. Das Wasser mochte ihre Rucksäcke erreichen, und diese Vorstellung gefiel Chane gar nicht, als er an die wertvollen Bücher in seinem Gepäck dachte. Aber ihnen blieb keine Wahl.
»Heb deinen Rucksack über den Kopf«, sagte er leise. »Ich versuche, dir den Stab auf den Rücken zu binden, mit dem Kristall nach oben.«
Wynn nahm den Rucksack ab, um Platz für den Stab zu schaffen, aber Chane machte sich immer noch Sorgen wegen der Bücher. Für die aus dem Kloster der Heiler bestand vielleicht keine Gefahr, aber in Wynns Tagebüchern gab es mit Holzkohle geschriebene Einträge. Er griff in einen der Rucksäcke, die er trug, und holte die betreffenden Tagebücher daraus hervor.
Wynn richtete einen fragenden Blick auf ihn.
Sie wusste, was er vorhatte, aber es schien ihr nicht zu gefallen. Dennoch nahm sie die
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