Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
schwarze Augen, zu groß für einen Menschen, starrten Wynn an. Durchsichtige Membranen erfüllten die Funktion von Lidern.
Das Geschöpf hatte eine glatte, blaugrüne Haut. Das Gesicht wirkte wie aufgebläht, und die Nase bestand nur aus zwei vertikalen Schlitzen. Als sich der lippenlose Mund öffnete, sah Wynn nadelspitze opalisierende Zähne.
Das Wesen war so groß und schlank wie ein erwachsener Elf. Weitere Spitzen und Dornen, durch Häute miteinander verbunden, reichten über die Außenseiten der Unterarme. Wynn stockte der Atem, als sie jeweils drei Schlitze zu beiden Seiten der Kehle sah, dicht unter der Kieferpartie. Sie bewegten sich wie Kiemen.
Die starken Arme und Hände, die sie festhielten, ließen plötzlich los.
»Frey, bitte«, flüsterte die Frau und rief dann: »Chuillyon! Tristan! Ich brauche Hilfe!«
Wynn wusste nicht, wer sie festgehalten hatte. Der Speer zeigte noch immer auf sie, und sie wagte es nicht, den Kopf zu drehen.
»Wir kommen!«, rief jemand, und es platschte im Raum hinter dem Gitter.
Chane tauchte auf, direkt hinter Schatten.
Einen Moment später platzten drei Wesen mit blaugrüner Haut aus den Fluten und griffen ihn an. Mit einem zornigen Zischen stieß Chane das erste von ihnen gegen die Tunnelwand. Schatten drehte sich, knurrte und schnappte nach dem Arm des ersten Geschöpfs, das sich daraufhin der Hündin zuwandte und den Speer hob.
Wynn riss sich los, sprang zur Seite und ergriff ihren Stab. Dann sah sie das Gesicht eines Mannes zwischen den Gitterstäben.
Der Kummer in jenem Gesicht ließ sie zögern.
Vielleicht kamen Tränen aus den Augen, in denen großer Schmerz lag, aber es ließ sich kaum feststellen, weil aus dem nassen dunkelblonden Haar Wasser über sein Gesicht lief. Sein Mund stand offen, als er in den Tunnel starrte, doch sein Blick galt nicht ihr, sondern dem Wesen, das einen Speer auf Schatten gerichtet hatte.
Wynn kannte diesen Gesichtsausdruck.
Sie hatte ihn bei Bauern in den schlimmsten Ecken der Welt gesehen, zum Beispiel dort, wo Leesil geboren war, in den Kriegsländern. So sahen Menschen aus, die kurz davor waren, zu verhungern oder zu verdursten, die jede Hoffnung verloren hatten. Dieser Mann starrte das blaugrüne Wesen so an, als sähe er die Erlösung von seinem Leid gerade außerhalb seiner Reichweite.
»Chuillyon!«, erklang erneut die Stimme der Frau. »Öffnet das Tor!«
Der dünne Arm, über Schulter und Brust des Mannes geschlungen, versuchte ihn zurückzuziehen, war aber offenbar nicht kräftig genug. Ein zweites Gesicht erschien neben dem des Mannes, das der Frau, die gerufen hatte, und Wynn erkannte Herzogin Reine.
»Lass los, Frey!«, befahl die Herzogin.
»Wynn … komm ihnen nicht zu nahe!«, krächzte Chane.
Er schlug den Speer des Angreifers beiseite. Schatten paddelte an der Tunnelwand entlang und versuchte, ihrem Gegner zu entkommen. Wynn sah ihre beiden Gefährten in Gefahr und entschied, dem nächsten zu helfen. Sie machte einen Schritt auf Schatten zu.
Die Spitze einer langen, schmalen Klinge stieß direkt vor ihren Augen gegen die Tunnelwand.
Wynns Füße rutschten, als sie auszuweichen versuchte. Sie taumelte gegen die Wand, und die Klinge kam näher, setzte sich ihr an den Hals.
Herzogin Reine hatte einen Arm durchs Gitter gestreckt und hielt Wynn mit einem Säbel fest.
Der zornige Blick der Herzogin glitt von ihr fort.
Mit der scharfen Klinge an der Kehle konnte sich Wynn kaum bewegen, aber sie folgte dem Blick der Herzogin zu Chane.
»Gib auf, oder sie stirbt!«, drohte Reine.
Chane erstarrte, umgeben von den drei blaugrünen Wesen. Ein viertes hielt Schatten mit einem Speer auf Distanz.
Wynn nickte Chane zu und sah wieder zum Tor.
Die Herzogin zog den Säbel zurück, und der in ein weißes Gewand gehüllte Elf bemühte sich, den Mann vom Gitter wegzuziehen. Der Hauptmann, das Schwert in der einen Hand, zog das Gitter auf, wodurch Herzogin Reine und der Elf ein wenig zurückweichen mussten.
»Hierher!«, befahl er und richtete sein langes Schwert auf Wynn.
Die junge Weise zögerte. In all dem Durcheinander war ihr Rucksack im Wasser versunken. Sie wusste nicht, ob es ihr erlaubt war, ihn zu suchen, aber den Stab mit dem Sonnenkristall wollte sie auf keinen Fall zurücklassen.
Der Hauptmann trat vor, packte sie am Mantel und zerrte sie durchs offene Tor. Sie taumelte erneut und schluckte Wasser, und ein anderer Wearda zog sie zur Seite. Schatten folgte ihr, knurrte und schnaubte.
Dann kam Chane –
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