Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
die blaugrünen Wesen drängten ihn zum Gitter. Er hielt kurz inne und hob die eine, offene Hand, während er mit der anderen Wynns Rucksack aus dem Wasser zog. Er war von Kopf bis Fuß nass, und der Blick seiner farblosen Augen huschte hin und her, als er alle beobachtete. Kaum hatte er das Tor passiert, nahm ihm einer der Weardas den Rucksack ab und führte ihn mit vorgehaltenem Schwert zur anderen Seite des mit Meerwasser gefüllten Beckens.
Der Mann mit den schmerzerfüllten Augen riss sich vom Elfen los und versuchte den Tunnel zu erreichen.
Die Herzogin stürzte sich auf ihn und rief: »Freädherich, nein!«
Sie verloren beide das Gleichgewicht und fielen ins Wasser, aber für einen Moment verdrängte der Name Wynns Sorge. Sie kannte ihn.
Der Mann und die Herzogin richteten sich wieder auf. Wasser spritzte in alle Richtungen.
Wynn schnappte erschrocken nach Luft, als der Hauptmann ihren Stab zur anderen Seite des Beckens warf. Und der Leibwächter vor ihr drückte ihr warnend das Schwert flach auf die Brust.
Hauptmann und Elf eilten zur Herzogin, und der dritte Wearda stapfte zum Tor, schnitt Chane den Weg ab, der das Geschehen beobachtete und ebenso verwirrt zu sein schien wie Wynn.
Das nächste blaugrüne Wesen trat zum halb offenen Gitter.
Der Mann, den die Herzogin erst »Frey« und dann »Freädherich« genannt hatte, schrie verzweifelt und wollte das Geschöpf unbedingt erreichen. Festgehalten von Herzogin, Elf und Hauptmann streckte er dem Wesen wie flehend eine Hand entgegen.
Das Geschöpf streckte seinerseits die Hand aus. Die langen, schmalen und in Krallen endenden Finger wiesen Schwimmhäute auf.
»Weg von ihm!«, schrie die Herzogin. Sie ließ den Irren los, duckte sich am großen Elfen vorbei und schlug mit dem Säbel zu. Die Klinge kratzte übers Gitter.
Doch das Wesen im Tunnel hob nicht einmal seinen Speer. Es ließ nur langsam die Hand sinken.
Herzogin Reine warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Tor – es fiel mit einem laut widerhallenden Klappern zu.
»Ihr bekommt ihn nicht!«, rief sie und wich zurück, den Säbel hoch erhoben. Ihr Gesicht zeigte weniger Zorn als Entsetzen.
Das Wesen auf der anderen Seite des Tors umfasste einen Gitterstab und starrte mit seinen großen schwarzen Augen.
Die Herzogin drehte sich um, als Hauptmann und Elf den wimmernden Mann auf den Felssims an der gegenüberliegenden Seite des Beckens hoben. Reine wirkte plötzlich schwach, als könnte sie auf der Stelle zusammenbrechen.
»Hoheit?«, flüsterte der Leibwächter vor Chane.
Die Herzogin schauderte, richtete sich auf und sah zu Wynn. In ihren Augen zeigte sich eine Mischung aus Furcht und Wut.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
Vielleicht hätte sich Wynn eine vernünftig klingende Antwort einfallen lassen können, wenn sie nicht so überwältigt gewesen wäre. Ihr Blick huschte hin und her. Sie kannte nur einen Mann namens Freädherich, ohne ihn jemals aus der Nähe gesehen zu haben.
Der jüngere Prinz der Âreskynna, seit Jahren für tot gehalten, war in der Unterwelt der Zwerge eingesperrt.
Wynn brachte kein Wort hervor.
17
Reine stand wie erstarrt und merkte kaum, dass sie im kalten Wasser des Beckens zitterte. Der Raum empfing ein wenig Licht aus der nahen Wohnhöhle. Bei der nach draußen führenden Tür stand ein tropfnasser Wolf am Rand des Beckens, nicht weit von der jungen Weisen entfernt.
Reine konnte es kaum fassen, dass ausgerechnet Wynn Hygeorht den Weg hierher gefunden hatte.
Wenn die Weise und ihre Begleiter doch nur im Tunnel ertrunken wären. Das hätte alles einfacher gemacht. Niemand in der Außenwelt durfte erfahren, dass Frey noch lebte.
Ja, Reine hätte es einfacher gehabt, wenn Wynn durch eigene Schuld ums Leben gekommen wäre. Doch nicht die Suche nach Frey hatte Wynn hierhergeführt. Dass sie ihn gefunden hatte, war ein besonders schlimmer Zufall.
Wie hatte sie erfahren, wo die Texte aufbewahrt wurden? War dies der Grund, warum sie eine Begegnung mit Erz-Locken gesucht hatte?
Reine ließ den Säbel ein wenig sinken und wich zurück.
»Wenn du mir nichts zu sagen hast, wirst du ebenso schweigen wie deine Begleiter!«, zischte sie.
Wynn nickte langsam.
Diese Fremden hatten bereits zu viel gesehen und durften nicht gehen.
Reines Gedanken kehrten zu Frey zurück. Je länger die Versuchung präsent blieb, desto größer wurde sein Leid. Sie wandte sich dem Becken zu.
Tristan und Chuillyon waren auf dem gegenüberliegenden Sims in die Hocke gegangen
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