Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Titel: Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barb J. C. Hendee
Vom Netzwerk:
Kenntnisse brauchte sie als Katalogisiererin. Doch Chanes Intellekt war beeindruckend. Er lernte schnell, und Domin Tilswith hatte in diesem Zusammenhang von einem natürlichen Talent gesprochen. Damals hatte er noch nichts von Chanes wahrem Wesen gewusst. Vielleicht steckte hinter seiner Begabung auch etwas Übernatürliches, aber das ließ sich nicht feststellen, denn Wynn wusste nichts von dem Chane, der er früher gewesen war.
    Sie sank auf die Knie, griff unters Bett, holte den Blechzylinder hervor und entnahm ihm die Schriftrolle. Dann bemerkte sie Schatten, deren Schnauze über die Bettkante ragte.
    Ihr dunkles Fell war eine perfekte Tarnung für die Nacht. Wynn beugte sich vor und streichelte die Majay-hì.
    »Kluges Mädchen.«
    Schatten sprang auf, knurrte und schnüffelte. Wynn zuckte zurück und hörte, wie sich Chane näherte.
    »Was ist los mit ihr?«, krächzte Chane.
    Wynn entrollte die Schriftrolle und betrachtete die schwarze Schicht. »Offenbar bist du nicht der Einzige, der riechen kann, dass hier etwas verborgen ist.« Ganz langsam streckte sie die Hand aus und berührte Schattens Schnauze. »Ruhig. Es ist alles in Ordnung.«
    Sie drehte sich auf den Knien, wandte sich der Zimmermitte zu. Chane legte das Tagebuch aufs Bett.
    »Wie funktioniert es?«, fragte er.
    Wynn reichte ihm den leeren Zylinder. Er kannte Beschwörungen, doch die mantische Sicht war nicht etwas, das man allein mit erlernten Fähigkeiten kontrollierte. Seit ihrem ersten »erfolgreichen« Experiment war jene Sicht nie ganz von ihr gewichen, und wenn sie sie beschwor, kam es oft zu Nebenwirkungen.
    »Es ist anders als das, was du machst«, sagte sie. »Es erfordert mehr als Absicht, Wunsch und Konzentration. Es … ist schwer zu erklären.«
    Und sie versuchte es auch gar nicht. Dass sie dabei die Erinnerung an Chap benutzte, um ihre mantische Sicht zu rufen, ließ sie ganz und gar unerwähnt. Als sie den Kopf hob, stand Chane mit verschränkten Armen vor ihr.
    »Keine weiteren Einwände oder Fragen«, sagte Wynn.
    Er wich zurück, damit sie die Schriftrolle auf dem Boden ausbreiten konnte.
    Wynn schob alle anderen Gedanken beiseite. Domin il’Sänke hatte sie den einen oder anderen Trick gelehrt, weder Ritual noch Zauber, sondern das Drumherum. Aber selbst das hatte ihr nicht dabei geholfen, die Sicht wieder zu beenden. Mit dem rechten Zeigefinger strich sie das Zeichen für das Element Geist auf den Boden und umgab es mit einem Kreis.
    Bei jeder Bewegung stellte sie sich das Muster vor, als hätte sie es tatsächlich auf den Stein gemalt. Sie rutschte nach vorn, kniete auf dem imaginierten Zeichen und dem Kreis, der es umgab, »zog« dann einen größeren Kreis um sich selbst. Ein einfaches Muster – es half ihr, den Rest der Welt für den Moment auszuklammern, den sie brauchte.
    Wynn verharrte und schloss die Augen.
    Dann öffnete sie ihr Inneres für die Welt und ihre Präsenz, suchte in ihr nach Spuren des Geistes, der alles durchdrang. Sie begann mit sich selbst und stellte sich vor, den Geist einzuatmen und zu spüren, wie er vom Boden zu ihr aufstieg.
    Wynn rief ein Bild von Chap aus ihrem Gedächtnis, so, wie sie ihn einmal mit ihrer mantischen Sicht gesehen hatte, das Fell schimmernd, als bestünde es aus Tausenden von seidenen Fäden. Weißer Dunst umgab seinen ganzen Körper.
    Langsam verstrichen die Sekunden.
    Ein Schmerz in den Knien bedrohte ihre Konzentration.
    Sie versuchte, an Chaps Bild festzuhalten, im Kreis mit dem Symbol des Geistes. Doch plötzlich übermannten sie Schwindel und Übelkeit.
    »Wynn?«
    Sie spürte, wie sie vornüberfiel, und streckte die Hände aus.
    Sie klatschten auf kalten Stein, und Wynn spürte den Ruck in den Schultern, aber es bewahrte sie davor, mit dem Gesicht auf den Boden zu prallen. Erschrocken öffnete sie zu schnell die Augen.
    Die Übelkeit wurde stärker, ließ sie würgen.
    Ein vager, leicht bläulicher Dunst umgab und durchdrang alle Gegenstände im Zimmer. Er bedeckte alles und schien ein zweites Bild der Welt zu schaffen, das das erste überlagerte.
    »Wynn!«
    Sie hob schwach die Hand und winkte Chane zurück, wagte es aber nicht, den Blick auf ihn zu richten – sie wollte ihn nicht mit ihrer mantischen Sicht sehen. Sie drehte den Kopf in die andere Richtung, und ein Fanal aus bläulichem Licht auf dem Bett blendete sie fast.
    In diesem Glanz zeichnete sich Schatten mit ihrem dunklen Fell ab. Der von einer Feen-Essenz erfüllte Körper leuchtete heller als alles

Weitere Kostenlose Bücher