Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
in einer heißen, feuchten Höhle, als die Kugel unabsichtlich »geöffnet« worden war. Wynn erzählte auch, wie sie zusammen mit Chap, einem hundeartigen Feenwesen wie Schatten, die Texte ausgewählt hatte, mit denen sie schließlich nach Calm Seatt zurückgekehrt war.
Als sie zu den Übersetzungen kam, mit denen sie sich an diesem Tag beschäftigt hatte, stellte sich schnell heraus, dass sie kaum Neues für il’Sänke enthielten.
Er schwieg, als Wynn die Fresser der Stille und die Kinder des Ehrfürchtigen erwähnte, doch seine Hände schlossen sich fester um die Armlehnen des Sessels.
Vieles von dem, was Wynn gelesen hatte, enthielt Passagen, an deren Übersetzung er beteiligt gewesen war, und ihre Schlussfolgerungen enthielten nichts Überraschendes für ihn. Als Wynn schließlich schwieg und alles gesagt hatte, saßen sie eine Weile wortlos da. Gelegentlich sah sie ihn an, als erwartete sie einen Kommentar von ihm, der allerdings nicht den »Wrait« betraf.
Ja, er hatte diesen Begriff ihren Gedanken entnommen. Zusammen mit ihrer Furcht, dass ein solches Geschöpf weitaus gefährlicher war als die Vampire, die sie bisher für die einzigen Edlen Toten gehalten hatte. Einer von ihnen, Chane, war zu ihr gekommen, und außerdem eine junge Majay-hì. Ghassan hatte eigene Bedenken in Hinsicht auf den in Schwarz gekleideten untoten Magier. Er war nicht sicher, ob er in der Lage gewesen wäre, allein mit ihm fertigzuwerden. Und allein aus diesem Grund durfte er nichts gegen Wynn unternehmen. Wachsende Zuneigung spielte dabei überhaupt keine Rolle.
Sie wusste bereits zu viel von dem, was er für die Wahrheit hielt. Und er wusste, dass sie um der Sicherheit der Welt willen zum Schweigen gebracht werden musste.
Ein Leben für Tausende und Zehntausende andere – das war ein Opfer, mit dem er leben konnte.
Wenn nicht diese Kreatur gewesen wäre, die Wynn »Wrait« nannte.
Schließlich gähnte Wynn und hob dabei verschämt die Hand vor den Mund. Ghassan stand auf und nahm einen dicken Mantel von einem Haken neben der Tür.
»Leg dich hin«, sagte er. »Schlaf. Hier bist du sicher.«
»Wir dürfen nicht zulassen, dass der Wrait weitere Folianten bekommt«, flüsterte Wynn, doch ihre Augen schlossen sich bereits. »Und heute Abend ist er hier im Schloss der Gilde erschienen.«
»Ich weiß.«
»Rodian hat versucht, ihn in eine Falle zu locken, aber es hat nicht geklappt«, murmelte sie.
»Ich weiß.«
Ghassan sah zu Schatten, schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Boden. Die Majay-hì warf ihm einen bösen Blick zu, sprang aber von der Couch herunter. Il’Sänke sorgte dafür, dass sich Wynn hinlegte, und deckte sie mit dem Mantel zu.
»Morgen Abend bereiten wir selbst eine Falle vor«, sagte er.
Bis dahin brauchte er Wynn noch.
Als Wynn einschlief, betrat il’Sänke sein Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
17
Am nächsten Abend stand Wynn in einer Seitenstraße unweit des »Aufrechten Federkiels« – es war jene Straße, die zu der Gasse führte, in der Elias und Jeremy ermordet worden waren. Sie wartete auf ein Zeichen von Domin il’Sänke.
»Wir hätten uns nicht darauf einlassen sollen«, flüsterte Chane.
Schatten jaulte leise, als wollte sie sich dieser Meinung anschließen.
»Mir gefällt es ebenso wenig«, erwiderte Wynn. »Aber ich habe keine bessere Idee. Hast du eine?«
Das Licht der Straßenlaternen erreichte sie nicht ganz, aber Wynn sah trotzdem, wie Chane die Stirn runzelte. Die Verbrennungen an seinen Händen und im Gesicht waren fast verschwunden. Sie wollte nicht daran denken, wie das möglich gewesen war. Selbst wenn die von ihr aufgetragene Salbe wirkte – so schnell konnte sie ihm nicht geholfen haben.
»Wir müssen uns an den Plan halten und dürfen nicht den Kopf verlieren«, fügte Wynn leise hinzu.
»Ist der Sumaner zu dem imstande, was er behauptet?«
Wynn zögerte und beobachtete die leere Straße. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er unser Leben und die Sicherheit der Gilde riskiert, indem er lügt. Vielleicht sind nur wir in der Lage, die Gilde zu schützen.«
Die Antwort klang nicht sonderlich überzeugend, nicht einmal für ihre eigenen Ohren.
»Aber wenn der Premin-Rat erfährt, was wir hier machen, so wird er mich aus der Gilde verstoßen. Und Domin il’Sänke muss zumindest damit rechnen, hier in Ungnade zu fallen und zu seinem Zweig der Gilde zurückgeschickt zu werden. Er riskiert mehr als nur sein Leben. Wir müssen uns gegenseitig
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