Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Malourné gehört, ihnen aber keinen Glauben geschenkt. In jedem Land gab es Gerüchte, und sein Vertrauen in die Gesegnete Dreieinigkeit der Vernunft lehrte ihn, unlogischem Gerede keine Beachtung zu schenken. Als sich bei seinen Ermittlungen nichts ergab, blieb ihm nur sein Glaube.
Und er verstieß zum ersten Mal gegen das Gesetz.
Er hätte sich direkt an den Generalanwalt wenden, Bericht erstatten und seine Aussage vor dem Gericht zu Protokoll geben sollen. Stattdessen ging er zu Herzogin Reine.
Rodian teilte ihr mit, dass er einerseits nicht jeden Verdacht von ihr nehmen konnte, andererseits aber nicht glaubte, dass sie etwas mit dem Verschwinden des Prinzen zu tun hatte. Prinzessin Âthelthryth war bei dem Gespräch zugegen und schwieg, aber die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen. Als er die Geschichten über die Âreskynna und das Meer erwähnte, verzichteten Prinzessin und Herzogin auf einen Kommentar.
Bei der abschließenden Sitzung vor Gericht wies Rodian darauf hin, dass er keine Hinweise auf ein Verbrechen gefunden hatte. Es war nicht direkt eine Lüge, aber er erwähnte nichts von dem »Fluch«.
Ob etwas dahintersteckte oder nicht: Indem Rodian diese Information zurückhielt, verstieß er ein zweites Mal gegen das Gesetz. Dabei erinnerte er sich an den Tag seiner Aufnahme in die Shyldfälches und auch an die Beförderung zum Hauptmann, als er vor dem Generalanwalt gestanden hatte, die rechte Hand auf eine alte Holzschatulle gelegt.
Die Schatulle enthielt das Éa-bêch , Malournés erstes Gesetzbuch. Im Lauf der Jahrhunderte waren die Regeln und Vorschriften der Gesellschaft gewachsen, bis sie eine kleine Bibliothek füllten. Aber das Éa-bêch bildete noch immer die Grundlage. Und auf dieses Buch hatte Rodian den Eid abgelegt, das Gesetz der Bürger für die Bürger zu achten.
Beim Verlassen des Gerichts an jenem letzten Tag hatte Rodians rechte Hand wehgetan. Moralische Bedenken hatten ihn davon abgehalten, vor dem Generalanwalt von Gerüchten zu sprechen. Aber die Wahrheit bedeutete ihm alles, in seinem Glauben wie im Dienst. An jenem Abend ging er zum Tempel und betete. Er bat nicht um Vergebung für eine Sünde, sondern um Befreiung von den Zweifeln bei seiner von Vernunft geprägten Entscheidung.
Schneevogel wurde langsam, als ein Bettler über die Straße schlurfte, und Rodian schüttelte seine Erinnerungen ab. Inzwischen befand er sich in dem Viertel der Stadt, das man »Grauland-Reich« nannte.
Die Gebäude wirkten heruntergekommen, und bei vielen von ihnen hingen die Fensterläden schief. Hunde und ungewaschene Kinder liefen umher, und die meisten Straßenlaternen waren verdreckt und rostig, das Glas darin zerbrochen.
Rodian verabscheute diesen schäbigen Teil der Stadt, aber die Pflicht rief ihn oft hierher. Mit der Großzügigkeit der Âreskynna hatten die Stadtminister Hilfseinrichtungen für die Ärmsten der Armen geschaffen. In allen Städten gab es Viertel mit Leuten, die zwielichtige Geschäfte betrieben, in der Hoffnung, eines Tages aufzusteigen, und oft wurden diese Leute wiederum von anderen ausgenutzt. Die meisten Ladenbesitzer verdienten nicht einmal genug, um die Nägel zu bezahlen, die für eine Reparatur ihrer Fensterläden nötig waren.
Rodian empfand kein Mitleid mit jenen, die sich nicht selbst helfen konnten.
Er sah noch einmal auf den Zettel, um die Adresse zu überprüfen. Selwyn Midtons Laden, »Güte-Pergament« genannt, bot angeblich »klerikale Dienste« an. Rodian lenkte Schneevogel nach links, in eine von klapprigen, baufälligen Läden gesäumte Straße. Es gab hier auch eine Taverne, und der Hauptmann fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, als ihm der Geruch von bratendem Fleisch in die Nase stieg, vermischt mit dem Gestank von Abfällen.
Schmutzige Menschen waren in dieser Straße unterwegs, jeder von ihnen mit dem täglichen Kampf ums Überleben beschäftigt. Rodian kam an zahlreichen Karren vorbei, einige von Ponys gezogen, und stellte fest, dass er der einzige Reiter weit und breit war.
Der Name »Güte-Pergament« stand nicht auf einem Schild über dem Eingang, sondern nur an der Tür. Rodian machte vor dem Laden halt, stieg ab und klopfte seiner Stute auf den Hals.
Vielleicht hatte er das Gesetz noch ein drittes Mal gebrochen.
Eines Abends, weniger als einen Monat nach den Ermittlungen über den verschwundenen Prinzen, hatte jemand ein prächtiges weißes Pferd zur Kaserne gebracht. Die wundervolle Stute war ein Geschenk der Herzogin, und
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