Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Mahagoni in der Nähe. Lachende Stimmen hallten durch den Flur, und vier Kinder kamen aus dem Wohnzimmer gelaufen, drei Mädchen und ein kleiner Junge, alle gut gekleidet. Sie blieben überrascht stehen, als sie Rodian sahen.
    Der Mantel des Hauptmanns war offen, und eins der Mädchen starrte auf sein Schwert.
    »Geht und spielt weiter«, sagte die Mutter und scheuchte die Kinder durch den Flur. Vor einer geschlossenen Tür blieb sie stehen und klopfte an. »Selwyn … «
    Fast sofort öffnete sich die Tür.
    Ein attraktiver Mann mit einem Kognakglas in der Hand blickte mit großen Augen in den Flur und war ganz gewiss nicht das, was Rodian erwartet hatte. Er kannte Geldverleiher, und die aus den unteren Schichten der Gesellschaft neigten dazu, Brillen zu tragen und klein und durchtrieben zu sein.
    Selwyn Midton war groß und schlank, hatte pfirsichfarbene Haut und seidenes blondes Haar. Er trug eine schwarze Kniehose und ein weites weißes Hemd. Schnell erholte er sich von der Überraschung und schenkte seiner Frau ein Lächeln.
    »Danke, meine Liebe. Bitte kommt herein, Hauptmann. Ist in der Nachbarschaft eingebrochen worden?«
    Rodian näherte sich, betrat das Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Selwyn Midtons Blick blieb auf ihn gerichtet.
    »Ich habe noch einen Tag Zeit!«, stieß er hervor, sprach aber leise. »Der Generalanwalt hat mich in aller Deutlichkeit auf den Gerichtstermin hingewiesen. Weitere Drohungen sind nicht nötig!«
    Seine hellbraunen Augen waren blutunterlaufen, und sein Atem roch nach Alkohol.
    »Warum geht Ihr seit zwei Tagen nicht zur Arbeit?«, fragte Rodian.
    »Warum ich … ?« Es blitzte in seinen Augen. »Ihr seid bei meinem Geschäft gewesen?«
    Rodian deutete auf den großen Schreibtisch aus Ahorn und den indigoblauen sumanischen Teppich. »Kaum ein angemessener Ort für jemanden, der hier wohnt.«
    Midton ging um den Schreibtisch herum und nahm in dem Damastsessel dahinter Platz.
    »Ich bin damit beschäftigt gewesen, Dokumente für meinen Gerichtstermin vorzubereiten. Wie bedauerlich, dass unser Rechtssystem solche Mühe darauf verwendet, mich anzuklagen. Ich helfe nur den Leuten, mit denen die Banken nicht einmal sprechen wollen.«
    »Ihr helft?«, wiederholte Rodian.
    »Wer sonst, wenn nicht ich, gibt ihnen Geld, damit sie ihre Lebensverhältnisse verbessern können?«
    Rodian atmete tief durch. Bedauerlich wäre nur gewesen, wenn dieser Scheinheilige mit einem Freispruch davonkäme, aber das hielt er für unwahrscheinlich. Es gab keine Urkunde, die dem »Güte-Pergament« Geldverleihgeschäfte erlaubte. Aber was den Grund für Rodians Besuch betraf … Es gab auch keine Beweise dafür, dass Selwyn Midton etwas mit dem Tod der beiden jungen Weisen zu tun hatte.
    Rodian registrierte, dass er sich eine Verbindung zu jenem Verbrechen wünschte.
    Es war möglich, dass Midton die beiden jungen Männer getötet hatte, um Jeremy zum Schweigen zu bringen, und vielleicht hatte er anschließend die Ledertasche mit den Texten genommen, damit es nach einem Raubüberfall aussah. Der Einbruch in Meister Shilwises Skriptorium hatte damit möglicherweise überhaupt nichts zu tun. Rodian kannte noch seltsamere Zufälle. Derzeit erschien ihm das sogar wahrscheinlicher als Wynns Geschichte von einem adligen Sohn, der einem einfachen Bürgersprössling drohte.
    »Was die Vorbereitung Eurer Dokumente betrifft … «, sagte Rodian. »Habt Ihr vielleicht auf einen jungen Weisen namens Jeremy Elänqui gewartet?«
    Midton sah ihn groß an. »Wie bitte?«
    »Er hat Euch dabei geholfen, die Kontobücher zu fälschen.«
    »Wenn der Junge Lügen verbreitet, zeige ich die Gilde an!«
    Rodian behielt den Mann aufmerksam im Auge und beobachtete die Veränderungen in seinem Gesicht. »Jeremy kann keine Lügen verbreiten. Er wurde vor zwei Nächten ermordet.«
    Midton ließ das Kognakglas fallen.
    Es fiel auf den Boden und rollte unter den Schreibtisch. Kognak floss auf den teuren Teppich, aber Midton achtete nicht darauf – von einem Augenblick zum anderen wirkte er fast verzweifelt. Seine Augen wurden noch größer, und dann wich die Verzweiflung Sorge und Furcht.
    »Er wurde ermordet ? Aber … Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich etwas damit zu tun habe?«
    »Wo seid Ihr vorgestern Abend gewesen?«
    Midton schnappte nach Luft und brachte keinen Ton hervor. Dann sprang er auf.
    »Ich war hier, zu Hause. Meine Frau, die Kinder, unsere Köchin … Sie alle können bestätigen, dass ich das Haus