Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Schrei, und das Feuer verschwand plötzlich.
Rodian blinzelte, und für einen Moment sah er nichts als Dunkelheit. Dann hob er sein Schwert und lief los.
Ghassan zögerte, als er die dunkle Gestalt in der Gasse sah. Eine Welle der Furcht schwappte über ihn hinweg, wie ein plötzlicher Herbstregen des Nordens, der seine Kleidung durchnässte. Er wandte den Blick nicht von der Gestalt ab, auch als er hörte, wie sich der Hauptmann hinter ihm näherte.
Das Licht auf dem Boden der Gasse stammte von einem Kaltlampen-Kristall, der noch immer hell leuchtete. Ein Flüstern ertönte hinter der großen, in einen dunklen Mantel gehüllten Gestalt.
Er hätte die leisen Worte selbst dann nicht verstanden, wenn sie lauter gewesen wären, aber er wusste, was geschah. Alle Magier hatten ihre eigene Sprache und Symbole.
Irgendwo tiefer in der Gasse murmelte Dâgmund eine Beschwörung.
Von Ghassans Orden in der Gildenniederlassung von Calm Seatt zeigte nur Dâgmund echtes Talent. Nicht einmal Premin Hawes konnte es mit seinem thaumaturgischen Instinkt aufnehmen. Deshalb hatte Ghassan beschlossen, die jungen Reisenden zu begleiten, die beauftragt wurden, den jeweiligen Folianten abzuholen.
Er hatte sich alle Mühe gegeben, Dâgmund zu fördern und ihm zu helfen, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Aber Dâgmund war kein erfahrener Magier, und Thaumaturgie war nicht in der Lage, etwas zu erschaffen, so wie eine Beschwörung. Selbst wenn dem jungen Reisenden ein wirkungsvoller Zauber gelungen wäre – er war zu langsam.
»Feuer … aus Licht!«, rief Dâgmund plötzlich.
Flammen loderten aus dem Licht des Kristalls, und darin ragte die Gestalt mit dem schwarzen Mantel auf.
Ghassan schirmte sich die Augen vor der plötzlichen Helligkeit ab. Er wusste, was Dâgmund gemacht hatte.
Der Reisende hatte der schwarzen Gestalt seinen Kaltlampen-Kristall vor die Füße geworfen und sein Licht mithilfe von Thaumaturgie in Feuer verwandelt. Eine leichte Veränderung, denn Licht und Flamme stammten aus demselben Element. Dennoch staunte Ghassan darüber, welche Wirkung der junge Mann erzielte.
Flammen leckten höher, als es Ghassan für möglich gehalten hätte, doch so nahe sie dem Fremden auch kamen – sie berührten den schwarzen Mantel nicht.
Ranken aus orangerotem Feuer tasteten danach, doch eine unsichtbare Barriere hinderte es daran, den Mantel und die Gestalt in ihm zu erreichen.
»Ergib dich!«, rief Rodian im Zugang der Gasse.
Ghassan wollte vermeiden, dass der Hauptmann in seinem Übereifer gegen ihn stieß. Er schob die glühenden Muster beiseite, die noch immer in seinem Blickfeld schwebten, und ersetzte sie durch ein doppeltes Quadrat, das miteinander verbundene Dreiecke enthielt. Neue Zeichen und Symbole erschienen darin, als er die Beschwörung in Gedanken vervollständigte. Das Muster flog durch die Gasse und legte sich auf den Rücken des schwarzen Kapuzenmantels.
Die Gestalt schlug nach der Mauer, und Ziegelsteinsplitter trafen Ghassans Gesicht.
Er verlor seine Konzentration, als Dâgmund schrie.
Ghassan zuckte zusammen, als der Schrei plötzlich abbrach.
Von einem Augenblick zum anderen verschwand das Feuer.
Er hörte ein Rascheln wie von Kleidung. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er nur noch das Licht des Kaltlampen-Kristalls. Die Gestalt vor ihm drehte sich um, und er wich rasch an die Wand der Gasse zurück.
Die Schwärze des Mantels schien sich auszudehnen und tastete über die Wände. Und der Fremde hielt den Folianten in einer Hand, von schwarzen Stoffstreifen umhüllt.
Der Kopf drehte sich, und in der Finsternis unter der Kapuze …
Ghassan ließ die bisherigen Muster und Symbole los, um neue zu schaffen. Als sie in seinem Blickfeld erschienen, fokussierte er sie auf sich selbst, nahm sie tief in sein Bewusstsein auf.
»Herr!«, rief jemand im Zugang der Gasse, und die schwarze Gestalt hob eine Hand.
Ghassan schleuderte die in ihm gesammelte Energie auf den Boden zu seinen Füßen.
Der Fremde griff an, und im gleichen Moment stieg Ghassan in den dunklen Nachthimmel auf.
Rodian kniff die Augen zusammen und versuchte, mehr von der finsteren Gestalt in der Gasse zu erkennen. Die Furcht fraß sich tiefer in ihn, als er mehrere Schichten Dunkelheit sah, als würde ein schwarzer Mantel über einem schwarzen Umhang wogen. Der Stoff dehnte sich zu den Wänden hin aus, wie von heißer Luft getragen.
Die Gestalt drehte sich um.
Obwohl sie in unmittelbarer Nähe des Lichts
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