Dhampir
Wind knarrten.
Sie öffnete die Augen und wandte das Gesicht in die entsprechende Richtung, doch Seerose versperrte ihr erneut den Weg. Wynn erinnerte sich daran, dass Chap kurz den Kopf der Weißen berührt hatte. Er schien ihr irgendwie mitgeteilt zu haben, dass sie bleiben und Wynn zurückhalten sollte.
»Lass mich vorbei«, flüsterte die junge Weise und fragte sich, wie sie Seerose dazu bringen konnte, sie zu verstehen.
Chap hatte mit diesem Hund kommuniziert. Vielleicht war Wynn mit ihrer neuen Fähigkeit, ihn zu verstehen und sogar mit ihm zu sprechen, ebenfalls dazu in der Lage.
Sie trat vor und versuchte, Gedanken von Seerose zu empfangen. Vermutlich war Chap nicht in der Lage, ihre Gedanken zu lesen: Wynn sprach bei ihrer Kommunikation, und Chap projizierte Worte in ihr Bewusstsein.
»Seerose«, sagte sie. »Kannst du mich verstehen?«
Seerose starrte sie an, blieb aber vor ihr stehen, und Wynn hörte keine geistige Stimme von ihr so wie bei Chap.
Erneut schloss sie die Augen und bemühte sich, eine Verbindung mit dem Selbst der weißen Majay-hì herzustellen. Es musste irgendeine Möglichkeit geben, ihr die Notwendigkeit zu verdeutlichen, Chap zu erreichen. Aber sie spürte und sah nichts. Seerose war nicht wie Chap.
Sie konnten nicht miteinander sprechen.
Wynn streckte die Hand nach Seerose aus, die sofort zurückwich, in die Richtung der knarrenden und knisternden Zweige.
Im Gegensatz zu Wynn war die Hündin sehr wohl imstande, sich im Wald zu orientieren. Wenn sie Wynn den Weg versperrte, wies jede ihrer Bewegungen auf Chaps Aufenthaltsort hin. Wynn wankte nach vorn und streckte erneut die Hand nach Seerose aus.
Diesmal wich Seerose nicht zurück. Mit aufgestellten Ohren drehte sie den Kopf und blickte in den Wald. Wynn legte ihr die Hand auf den Rücken.
Die Hündin erbebte, doch ihre Aufmerksamkeit galt weiterhin dem Geräusch, das sie beide gehört hatten.
»Chap«, flüsterte Wynn und schob Seerose nach vorn. Hatte Seerose oft genug diesen Namen von ihr gehört, um ihn zu verstehen? Wynn wiederholte ihn mehrmals.
Seerose machte einen Schritt, den Blick der hellen Augen in den Wald gerichtet, und jaulte leise.
Wynn begriff, dass sie sich fürchtete. Noch einmal schob sie die Hündin nach vorn.
Seerose setzte sich in Bewegung. Langsam trat sie von Baum zu Baum, spähte um jeden Stamm herum, bevor sie den Weg fortsetzte. Wynn folgte der weißen Majay-hì durch den Wald, in dem sie sich allein nicht zurechtgefunden hätte.
Chap nahm die Präsenz seiner Artgenossen immer deutlicher wahr. In Blättern und Nadeln, in Zweigen und Rinde, in Luft und Erd e – überall fühlte er die Seinen und ihre gespannte Erwartung.
Er ließ sie warten.
Der leichte Wind wurde stärker, böiger. Zweige stießen aneinander.
Die Elfenmutter ist nicht wichtig. Nimm die dir Anvertrauten, bring sie fort und halte sie in Unwissenheit. Erneuere deinen Glauben an uns.
Wieder gingen sie nicht auf Leesil ein und setzten sich einfach über Nein’a hinweg. Sohn und Mutter schienen sie überhaupt nicht zu interessieren. Es ging ihnen einzig und allein um Magiere.
Von Geburt an hatte Chap gewusst, dass er in Hinsicht auf Magiere etwas unternehmen musste und dass er dazu einen Halbblutjungen brauchte. Aber er wusste nicht, welche Bedeutung Leesil und Nein’a zukam.
An seiner Fleischwerdung konnte es nicht liegen.
Nicht Schwäche und Versagen seines in Fleisch gefangenen Geistes erklärte den Verlust des früheren Wissens. Etwas anderes musste geschehen sein, als er damals sein Volk verlassen hatte und in dieser Welt geboren war.
Warum sprecht ihr nicht von Leesil?
Stille.
Warum kann ich mich nicht daran erinnern?
Verborgene kleine Geschöpfe krabbelten über die Zweige und wirkten in der Dunkelheit wie kleine Münder, die sich öffneten und schlossen.
Du bist schwaches Fleisch. Dein Herz und deine leiblichen Sinne behindern dich bei deiner Aufgabe. Mehr als wir befürchtet haben.
Chap duckte sich, aber nicht wegen dieses Tadels. Er erinnerte sich an den ersten Teil der Reise, als er versucht hatte, Leesil zu seiner Mutter zu führen.
Im tiefen Winter der Gebrochenen Berge, in Kälte und Hunger, hatten die Seinen den Bitten um Hilfe keine Beachtung geschenkt. Nur die fast schrillen Pfiffe eines unbekannten Retters hatten ihn und jene, die ihm anvertraut waren, in die Höhlen geführt. Seine Artgenossen hatten nichts zu ihrer Rettung unternommen. Auch als Magiere bei den Elfen, den An’Cróan, in Gefahr
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