Dhampir
Armbrust. Kleine Federn steckten am gekerbten Ende, gefleckt und fast daunenartig. Der Schaft war vorn zugespitzt und wies keinen Kopf aus Metall auf. Magiere stellte fest, dass die Spitze abgeplattet wa r – bei seinem letzten Flug musste der Pfeil gegen etwas Hartes gestoßen sein.
Er hatte an Chaps Platz gelegen. Woher stammte er?
Magiere steckte ihn hinter ihren Gürtel, richtete sich auf und machte einige Schritte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Das Licht des Kristalls breitete sich aus, und in seinem Schein bemerkte Magiere noch etwas anderes.
Neben der Stelle, wo sie geschlafen hatte, lag eine Ansammlung grüner Blätter, jedes von ihnen etwa so groß wie ihre Hand. Zwischen ihnen sah Magiere etwas, das sie an Trauben erinnerte. Sie trat näher und sank auf ein Knie.
Jede Frucht war so groß wie eine Schillingsmünze und burgunderrot, aber es handelte sich nicht um Trauben; sie sahen eher wie besonders groß geratene Heidelbeeren aus. Es waren mehr, als Magiere auf die Schnelle zählen konnte, mehr als genug für eine gewölbte Hand.
Magieres Blick strich erneut durch die Höhle. Wie hatte sich ihnen jemand unbemerkt nähern können, obwohl Chap bei ihnen gewesen war?
Neben Leesils Schlafplatz entdeckte sie eine weitere Ansammlung von Blättern und Beeren.
Woher stammten diese Früchte hier in den Winterbergen?
Magiere vergewisserte sich noch einmal, dass Wynn tief und fest schlief. Sollte sie die junge Weise wecken und fragen, was es mit den Früchten auf sich hatte und ob man sie essen konnte? Sie entschied sich dagegen, nahm ihr Falchion und ging zu dem Felsspalt, hinter dem sich der schmale Weg erstreckte, der sie hierher gebracht hatte.
»Leesil?«, rief Magiere, als sie die nächste kleine Höhle erreichte. »Chap?«
Ein Rascheln kam aus dem Felsentunnel hinter ihr.
»Leesil?«, erklang eine sorgenvolle Stimme. »Magier e … Cha p … Wo seid ihr?«
Wynn war erwacht. Magiere wusste nicht, ob sie antworten oder zurückkehren sollte. Schließlich machte sie sich auf den Rückweg in die größere Höhle, damit Wynn wusste, dass sie nicht allein war.
»Hier«, sagte sie. »Ich bin hier.«
Hinter sich hörte Magiere ein Kratzen und das Tappen von Pfoten auf Stein. Sie drehte sich um und sah in der Dunkelheit zwei glitzernde Punkte, aus denen helle blauweiße Augen wurden.
Chap näherte sich, das silbergraue Fell gesträubt und den Schwanz hoch erhobe n – er sah aus, als hätte er einen Morgenlauf hinter sich. Leesil folgte ihm mit einem aufgerissenen Gepäckbeutel und einigen Satteltaschen. Seine Kapuze lag auf dem Rücken, und das weißblonde Haar fiel ihm offen auf die Schultern. Ganz deutlich waren die langen, spitz zulaufenden Ohren zu sehen.
»Wo bei den sieben Höllen bist du gewesen?«, fragte Magiere verärgert.
Leesil blieb stehen und sah sie verblüfft an. Dann hob er die Satteltaschen. »Was glaubst du wohl? Ich bin zurückgeklettert und habe geholt, was übrig geblieben ist.«
Magiere zögerte verlegen. Natürlich, das war vernünfti g – aber er hätte ihr wenigstens Bescheid geben können.
»Das nächste Mal weckst du mich, bevor du verschwindest! Ich habe dir doch gesag t … «
»Dass ich nicht von deiner Seite weichen soll«, beendete Leesil den Satz für sie. »Und du hast damit gedroht, mich niederzuschlagen, falls ich es versuchen sollte.«
Er blinzelte dreimal hintereinander, und seine bernsteinfarbenen Augen schienen kalt zu leuchten. Aus Magieres Ärger wurde fast so etwas wie Verzweiflung. War noch etwas von dem Mann übrig, in den sie sich verliebt hatte? Oder war der auch in Darmouths Familiengruft gestorben?
Der Hauch eines Lächelns zuckte in Leesils Mundwinkeln. Es war nicht das schelmische Grinsen von früher, aber immerhin.
»Hast du dir Sorgen um mich gemacht?«, fragte er. »Hast du befürchtet, irgendein hungriges Höhlentier hätte mich verschleppt?«
Etwas vom alten Leesil zeigte sich, von dem Mann, der so oft mit ihr gescherzt hatte. Dem sie begegnet war, bevor sie mit dieser langen Reise begonnen hatten, die sie mit grässlichen Antworten, der dunklen Seite in ihnen beiden und zu viel Tod konfrontierte.
Leesils Lächeln verschwand plötzlich, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
»Wir sollten feststellen, was uns geblieben ist«, sagte er und trat an ihr vorbei zu Wynn.
Magiere folgte ihm; sie fühlte sich in ihrem Innern verletzt. »Was macht die Schulter?«
»Sie ist steif und tut weh«, antwortete Wynn und legte den Arm
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