Dhampir
Gewissheit zu erlangen. Blinden Optimismus hatte Chane satt. »Versuchen wir es noch heute Nacht, oder warten wir bis morgen, damit wir mehr Zeit haben?«
»Wir steigen jetzt hinab«, erwiderte Welstiel sofort und nahm die Taschen vom Pferd. »Den Hund lassen wir ebenfalls hier.«
Wieder blieb Chane nichts anderes übrig, als die Entscheidung seines Reisegefährten hinzunehmen. Ärger regte sich in ihm, aber er schwieg. Vielleicht befanden sie sich in der Nähe von Welstiels rätselhafter Kugel, und wenn sie gefunden war, hatte Chane möglicherweise die eine oder andere Überraschung für ihn.
Mit einer Hand stützte sich Chane an der Felswand ab, brachte zwei Stufen hinter sich und blickte nach unten. Im wirbelnden Schnee ließ sich nichts erkennen, weder der Boden der Schlucht noch die gegenüberliegende Seite. Die durch die Dunkelheit der Nacht herantreibenden Schneeflocken schienen aus dem Nichts zu kommen. Chane ging weiter, und je tiefer er kam, desto mehr ließ der Wind nach, bis die Schneeflocken nicht mehr umherwirbelten, sondern sanft fielen.
Weiter oben kratzten Welstiels Stiefel über die Stufen.
Sgäile ging zur dritten Eiche hinter den Anlegestellen und freute sich auf die Rückkehr zu seiner Famili e – er hoffte, bei ihr alles andere vergessen zu können. Er zog den Vorhang beiseite, und dort saß sein Großvater Gleannéohkân’thva und schrieb mit einem Federkiel auf Pergament.
»Wo ist Leanâlhâm?«, fragte Sgäile.
»Sie holt einige Dinge für unsere Reise«, erwiderte sein Großvater. »Wir brechen früh auf. Kommst du mit uns?«
Sgäile knöpfte seinen Mantel auf, nahm Platz und hob die Teekanne vom Tablett.
»Zuerst möchte ich die sichere Abreise Léshils und seiner Gefährten gewährleisten. Anschließend kehre ich für eine Weile heim. Ich würde gern Osha mitbringe n – wenn du damit einverstanden bist. Ich möchte darum bitten, dass er ausgebildet wird, und auch darum, selbst für den Rest des Winters und vielleicht noch länger von meinen Pflichten entbunden zu werden.«
Sein Großvater musterte ihn verwundert und legte ihm dann die Hand auf die Schulter. »Osha ist immer willkommen. Und es wäre schön, dich für eine Weile zu Hause zu haben.«
Sgäile goss Tee in eine runde Tasse und trank einen Schluck.
Vielleicht brauchte er Zeit bis zum Frühling, um innerlich wieder zur Ruhe zu kommen. Es gab zu viele Dinge, über die er nachdenken musste, Dinge, die ihm bisher gar nicht bewusst gewesen waren. Zum Beispiel die sonderbare Feindseligkeit zwischen Brot’ân’duivé und dem Ältesten Vater, einem angesehenen Greismasg’äh und dem Gründer der Kaste. Im Lauf der Zeit schien die Kluft zwischen ihnen immer größer geworden zu sein. Fréthfâre schien ebenfalls an diesem Konflikt beteiligt zu sei n – ihre temperamentvollen Reaktionen bei der Verhandlung deuteten klar darauf hin.
Erneut trank Sgäile einen Schluck Tee, ohne dass die Unruhe aus ihm wich.
Plötzlich kam Leanâlhâm aufgeregt und schwer atmend herein. »Sgäilsheilleache! Komm, schnell!«
Er stellte die Tasse ab und ergriff ihre Hand. »Was ist? Bist du verletzt?«
»Nein.« Sie schnappte erneut nach Luft. »Urhkarasiférin hat mir getrocknete Feigen für unsere Reise gegeben, und auf dem Rückweg habe ich Fréthfâre bei Én’nishs Wohnbaum gesehen. Sie bemerkte mich nicht, und ich habe einen Teil ihres Gesprächs gehört. Sie wollen Léshil und Brot’ân’duivé nach Norden folgen.«
Sgäile überlegte und verstand. »Léshil hat sich auf den Weg gemacht, um Cuirin’nên’a Bescheid zu geben.«
»Worüber Bescheid zu geben?«, fragte sein Großvater.
»Der Älteste Vater hat Cuirin’nên’a freigelassen«, antwortete Sgäile. »Leesil und seine Gefährten sind bestimmt unterwegs, um es ihr zu sagen.« Er sah Leanâlhâm an. »Brot’ân’duivé ist bei ihnen, und Fréthfâre verfolgt sie?«
»Ja!«, stieß das Mädchen hervor. »Zusammen mit Én’nish. Und ich glaube nicht, dass Brot’ân’duivé davon weiß.«
Sgäile nickte langsam.
»Sie sprachen davon, nicht das Blut der Ihren zu vergießen.« Leanâlhâms Stimme zitterte. »Aber warum sollte ein solcher Hinweis nötig sein? Und etwas in Fréthfâres Stimm e … Sie erwähnte nur Brot’ân’duivé, nicht aber Léshil oder seine Begleiter! Warum sollte sie Én’nish so etwas sagen?«
Sgäile stand auf und knotete die Zipfel seines Mantels zusammen. Der Instinkt drängte ihn, sofort den Ältesten Vater aufzusuchen, aber wenn
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