Diabolos (German Edition)
wir selbst für unser Leben verantwortlich. Könnten wir es daher nicht schaffen, dieses … Spiel zu beenden? Sollten wir nicht versuchen, wenigstens für ein paar Stunden ohne Streit auszukommen? Ich habe von Paaren gehört, denen das wochen- und sogar monatelang gelingen soll.«
Eine lange Zeit blickte sie ihn nur stumm an. Sie war sich nicht sicher, ob es sich hierbei um ein ernstes Entgegenkommen oder nur ein taktisches Manöver handelte.
»Das ist vielleicht der erste vernünftige Vorschlag, den du während des ganzen Urlaubs gemacht hast«, antwortete sie schließlich.
Für mehrere Minuten standen sie schweigend unter dem weißlich-blauen Himmel und betrachteten das bizarre Panorama des Tales. In südöstlicher Richtung bildeten die schroff abfallenden Berghänge ein deutliches ›V‹. Der Talboden war mit verdorrtem Gestrüpp, Oleanderbüschen und einigen wenigen Johannisbrotbäumen bewachsen. Überall ragten Felsblöcke aus dem matten Grün der Pflanzen empor.
Hinter dem ›V‹ versperrte ein weiterer Bergrücken die Sicht, ein Zeichen dafür, dass das Tal nicht geradlinig, sondern in ›S‹-Schleifen verlief. Ihr gemeinsames Schweigen wirkte diesmal Wunder. Erst jetzt öffneten sich ihre Sinne für die Besonderheiten der Natur, die Formen, die Farben und Geräusche. Heather schien, als hätte das Geschrei der Zikaden erst in diesem Augenblick eingesetzt. Das schrille Gezirpe begleitete sie aber schon seit dem ersten Tag auf der Insel. Überall und zu fast jeder Tageszeit konnte man es hören. Genauso wie das ewige Rauschen des Windes.
»Da schau«, rief Brandon plötzlich. Während sie das untere Tal studiert hatte, war sein Augenmerk auf den nördlichen Anfang der Schlucht gerichtet gewesen. Sie drehte sich zu ihm herüber und spähte in die Richtung seines ausgestreckten Arms. Er zeigte auf die benachbarte Felswand, die in ihrem oberen Bereich mehrere längliche Aushöhlungen aufwies. Sie erkannte Pfeiler und Rundbögen, die allerdings keinem gemeinsamen Ordnungsprinzip unterlagen. Die Formen wirkten teilweise zerfressen, dann wieder fließend. Wind und Wasser waren die Baumeister dieser steinernen Kathedrale gewesen.
»Die Höhlen«, nickte sie. »Sie sehen aus, als hätte ein Architekt wie Gaudi sie entworfen.«
Brandon lächelte zustimmend. »Genau. Dort wird es gewesen sein, wo die alten Minoer ihre Toten begruben.«
In seiner Stimme schwang die Aufregung eines Entdeckers. Mit einem Mal hatte auch ihn die Atmosphäre der Schlucht gefangen genommen. Er schoss einige Fotos und suchte sich dann zwischen mehreren kleinen Felsen hindurch einen Weg nach unten. Immer wieder blickte er dabei hinüber zu den Höhlen.
»Komm!«, rief er Heather enthusiastisch zu. »Das schauen wir uns mal genauer an.«
Sie folgte ihm nur zögernd; der plötzliche Wandel in seinem Verhalten machte sie stutzig. »Was …? Heeh, nicht so schnell! Was hast du vor?«
»Na, die Höhlen«, grinste er. »Wir gehen rauf und sehen sie uns mal aus der Nähe an.«
Heather wäre beinahe vor Schreck gestrauchelt. »Was?? Bist du übergeschnappt? Der Hang ist viel zu steil, und außerdem holst du dir in der Hitze einen Sonnenstich.«
Ihr Mann kletterte unbeirrt weiter; mittlerweile befand er sich schon gut sechs Meter unter ihr. »Aber Heather«, stöhnte er, »jetzt bleib doch mal locker. Wenn die alten Griechen mit ihren toten Schwiegermüttern dort hinauf gekommen sind, werden wir beide es wohl auch noch schaffen, oder?«
Heather sparte sich ihren Atem für das anstrengende Felshüpfen auf; mehr rutschend als springend folgte sie Brandons Route. Salziger Schweiß lief ihr unangenehm über das Gesicht; schon spürte sie wieder ein leichtes Brennen auf Nasenrücken und Wangen. Ihre Jeans hatten sich längst kalkig weiß gefärbt, als sie endlich wieder feste, körnige Erde betrat. Der Rest des Abhangs war mit spärlichen Sträuchern und einigen Bäumen bewachsen. Und wo es Bäume gibt, da gibt es auch Schatten , dachte sie erleichtert. Wenn sie schon diese Tollheit mitmachen sollte, so brauchte sie vorher zumindest eine erholsame Pause. Wie sich herausstellte, musste Brandon dazu nicht erst überredet werden. Auch wenn er es sich nicht anmerken lassen wollte, so hatte ihn dieser Marsch bislang ebenfalls eine ganze Menge an Energie gekostet. Er atmete schwer, und das T-Shirt klebte wie ein nasses Tuch an seinem Rücken. Keuchend stolperten sie durch ein ausgetrocknetes Bachbett auf eine einsame Kiefer zu.
»Basislager
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